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Schweiz gewinnt Chaos-ESC - Deutschland Zwölfter

Deutschland Platz 12 und nicht Letzter. Doch der Eurovision Song Contest erlebt seine wohl dunkelste Stunde. In der Halle gibt es immer wieder Buhrufe. Nicht nur gegen Israel.
Nemo mit Preis
Nemo auf Drehscheibe
Nemo mit non-binärer Flagge
Eden Golan
Isaak
Festnahme von Greta Thunberg
Joost Klein

Kein bisschen Frieden? Bedeutet 2024 das Waterloo für die weltgrößte Musikshow? Deprimierende Wortspiele mit berühmten Grand-Prix-Siegertiteln liegen nahe. Überschattet von Protesten und einer Disqualifikation ist der Eurovision Song Contest diesmal keine friedliche Show gewesen, wie sie das Publikum von dem Musikspektakel gewohnt ist - auch wenn die Moderatorinnen in Malmö den Trubel in der Liveshow überspielten. Wie letztes Jahr waren allein in Deutschland rund acht Millionen TV-Zuschauer dabei, wenn man die Zahlen vom Ersten und dem ARD-Spartensender One addierte.

Deutschland landete mit Sänger Isaak und dem Song «Always On The Run» auf dem zwölften Platz von 25 Finalisten und beendete die jahrelange Serie von letzten und vorletzten Plätzen. «Ich bin sehr happy. Ich bin super happy, super stark», sagte der 29-Jährige nach Ende der Show. Den Sieg holte in der Nacht zum Sonntag die Schweiz mit Nemo. Der Siegertitel «The Code» ist ein wilder Genre-Mix aus Pop, Rap, Oper, Drum 'n' Bass und James-Bond-Song.

Schweiz siegt dank Juryvotes

Die vorgeblich verbindende Show mit dem Motto «United by Music» erlebte diesmal draußen Demos und Festnahmen, drinnen Buhrufe und Trubel. Die Schweiz gewann erstmals seit 1988, Céline Dion siegte damals. Musiker Baby Lasagna aus Kroatien wurde mit «Rim Tim Tagi Dim» Zweiter in der Gesamtplatzierung, es folgten die Ukraine, Frankreich und Israel.

Hätte nur das Fernsehpublikum Europas abgestimmt, hätte Kroatien knapp vor Israel gewonnen (337 gegen 323 Punkte), gefolgt von der Ukraine, Frankreich und der Schweiz. Da die Schweiz aber haushoch bei den zu 50 Prozent relevanten Jury-Punkten siegte (365 Punkte; Frankreich dahinter 218 Punkte), landete sie in der Gesamtwertung auf Platz eins.

Deutschland kam beim Juryvoting auf Platz zehn, beim Televoting auf Rang 19, was Gesamtplatz zwölf bedeutete. Noch krasser war der Unterschied zwischen Jurys und Publikum im Fall Israel: beim Juryvoting Platz zwölf, beim Televoting Platz zwei.

Trophäe zerbrochen - ESC auch?

Sieger-Act Nemo (Name wie der Clownfisch aus dem Animationsfilm «Findet Nemo» von 2003) lebt in Berlin und identifiziert sich als nicht-binär («Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau»). Nemo zerbrach nach dem Sieg die Trophäe versehentlich auf der Bühne und bekam einen Ersatz-Preis. «Die Trophäe kann repariert werden - vielleicht braucht der ESC auch ein kleines bisschen Instandsetzung», sagte Nemo vieldeutig.

Was war bloß los? Das rund vierstündige ESC-Finale wurde immer wieder durch laute Buhrufe gestört. Es ging um Protest gegen das Teilnehmerland Israel und Unzufriedenheit mit der Entscheidung der Europäischen Rundfunkunion (EBU) als Veranstalter, Joost Klein («Europapa») für die Niederlande im Finale zu sperren. Klein (26) war am Samstag kurzfristig disqualifiziert worden. Hintergrund waren laut niederländischem TV-Sender Avrotros Vorwürfe, er habe eine aggressive Geste gegenüber einer Kamerafrau gezeigt.

Der niederländische öffentlich-rechtliche Rundfunk reichte eine offizielle Beschwerde gegen den Beschluss ein. ESC-Chef Martin Österdahl erntete vor Beginn der traditionellen Punktevergabe der Jurys aus Teilnehmerländern Raunen und Buhrufe aus dem Publikum.

Proteste vor und in der Halle - Greta Thunberg abgeführt

Belastet war die Show vor allem durch israelfeindliche Proteste vor und in der Halle. Sie richteten sich gegen die Entscheidung der Veranstalter, Israel trotz des Gaza-Krieges mit bislang mehr als 34 000 toten Palästinensern antreten zu lassen. Diese Zahl nennt das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Der jüdische Staat reagierte mit dem Krieg auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker. Kritiker werfen den Veranstaltern in dem Kontext Doppelmoral vor, weil die EBU Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine einst ausschloss.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, verurteilte die Proteste. «Es entspricht einem gängigen antisemitischen Muster, Israelis kollektiv in Haftung für Handlungen ihrer Regierung oder ihrer Armee zu nehmen, die sie oftmals selbst verurteilen», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Tausende Menschen gingen auf die Straßen, das Polizeiaufgebot war groß. Überwiegend blieb es aber friedlich, so das Polizei-Fazit. Polizisten führten die Klimaaktivistin Greta Thunberg (21) mit anderen Demonstrierenden vom Platz vor der Arena ab, nachdem sich dort die Stimmung aufgeheizt hatte. Einsatzkräfte sperrten den Platz ab. Mehrere Störer wurden draußen festgenommen.

Auch aus dem Publikum in der Halle gab es immer wieder Protestrufe gegen Israels Act. Die Störversuche zogen sich durch den ganzen Abend. Schon beim Einzug der Nationen waren Pfiffe in der Halle zu hören, als die israelische Sängerin Eden Golan die Bühne betrat. Die 20-Jährige musste in Schweden die ganze Zeit massiv beschützt werden.

Schweizer Städte können sich nun bewerben

Beim Vortragen ihres Liedes «Hurricane» musste Golan später wieder Pfiffe und Buhs über sich ergehen lassen. Die Buhrufe wurden dann noch einmal lauter, als zur Punktevergabe der israelischen Jury geschaltet wurde. Deutschlands Fernsehpublikum vergab beim Televoting seine Höchstpunktzahlen an Israel (12), Kroatien (10) und die Ukraine (8).

Nächstes Jahr wird der ESC in der Schweiz sein. Als Austragungsorte wurden in den Medien Städte wie Zürich, Bern, Genf oder Basel genannt.

© dpa ⁄ Melissa Erichsen, Gregor Tholl und Christof Bock, dpa

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