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Neunjähriger flüchtet ohne Eltern in die USA: Roman «Solito»

«Solito» erzählt die herzzerreißende, wahre Fluchtgeschichte des neunjährigen Javier Zamora, der sich von El Salvador auf den gefährlichen Weg zu seinen Eltern in die USA macht.
«Solito» von Javier Zamora
Javier Zamora wurde 1990 in El Salvador geboren. © -/Verlag Kiepenheuer & Witsch/dpa

In Europa wie in den USA stehen sie im Mittelpunkt hitziger Diskussionen und politischer Polarisierungen. Fast immer ist es dabei der Blick von außen, der Migranten beschreibt, bewertet und kategorisiert. Nur selten dagegen melden sie sich selbst zu Wort, und noch seltener schreiben sie dicke Bücher über ihre Fluchterfahrungen. Insofern ist das fast 500 Seiten starke Werk von Javier Zamora über seine Flucht von El Salvador in die USA schon etwas Besonderes. 

1999 im Alter von neun Jahren geflohen

Noch wertvoller ist es, weil es aus der Perspektive eines Kindes geschrieben ist. Denn Zamora war erst neun Jahre alt, als er 1999 ohne elterliche Begleitung die gefährliche Flucht in den Norden antrat. Über zwanzig Jahre später ruft er sich diese sieben Wochen, die sein Leben veränderten, wieder in Erinnerung. Der Titel des Buchs «Solito», übersetzt «ganz allein» oder «mutterseelenallein», beschreibt kurz und treffend die dramatische Situation des Jungen.

Javier lebt in dem kleinen zentralamerikanischen Land El Salvador, das gerade von einem brutalen Bürgerkrieg heimgesucht wurde. In der Folge dieses Krieges flüchtete erst sein Vater, später auch seine Mutter vor den Todesschwadronen in die USA. Javier selbst lebt bei seinen Großeltern und seiner jungen Tante Mali, die er alle drei sehr liebt. Doch seine Eltern, die sich inzwischen in der neuen Heimat etabliert haben, beschließen, ihn zu sich zu holen.

Da dies auf legalem Weg nicht möglich ist, soll der Junge mit Fluchthelfern in den Norden geschleust werden. Der Mann für solche Geschäfte ist in Javiers Heimatort Don Dago, der über beste Beziehungen zu verfügen scheint, ihm vertrauen die Menschen. Erst sehr viel später wird sich herausstellen, dass Don Dago dieses Vertrauen nicht verdient, ebenso wenig wie andere zwielichtige Schleuser oder «Kojoten», die im Laufe der Flucht noch auftauchen und ebenso plötzlich wieder verschwinden werden.

Durch Vulkanregionen, übers Meer und durch die Wüste

Die Fluchtroute verläuft von El Salvador nach Guatemala, über Mexiko bis nach Arizona. Es geht durch Vulkanregionen, übers Meer und durch die Wüste. Mal ist das Transportmittel der Bus, dann ein Laster, einmal ein Schiff und immer wieder müssen den kleinen Jungen die eigenen Füße über weite Strecken tragen. 

Anfangs wird Javier noch von seinem Großvater begleitet, dann ist er auf sich allein gestellt. Doch er hat Glück: Die junge Mutter Patricia mit ihrer Tochter Carla und der Junggeselle Chino nehmen ihn unter ihre Fittiche und geben sich nach außen als seine Familie aus.

Der Bericht ist radikal subjektiv aus Sicht des Jungen geschrieben und dadurch besonders anrührend. Er spiegelt seine Gefühle von Verlassenheit, seinen Trennungsschmerz, sein Liebesbedürfnis und seine Ängste wider, aber auch seine Dankbarkeit für die Menschen, die ihn auf der gefährlichen Flucht schützen und denen er am Ende sein Leben verdankt. 

Hunger, Durst, Schmerzen und Scham

Er handelt von Hunger, Durst und Schmerzen, aber auch von seinen kindlichen Schamgefühlen (etwa, dass er immer noch nicht seine Schuhe binden kann), von seinen fantasievollen Eingebungen und Vorstellungen und nicht zuletzt von seinen vagen Träumen von einem besseren Leben in «La USA», auch «Gringolandia» genannt.

«Alle meine Freunde und ich wollen bei unseren Eltern sein, wo alles neu und frisch ist, wo der Müll von Lastwagen abgeholt wird, wo das Wasser aus silbernen Hähnen kommt, wo es den weißesten Schnee schneit, wo Leute Schneeballschlachten machen und zu Weihnachten echte Tannenbäume fällen – und nicht Baumwollzweige mit weißer Farbe besprühen, wie wir das hier tun.»

Rein formal hätte die ein oder andere Kürzung die dramatische Aussagekraft des Buchs noch gesteigert. Der Autor verwendet zudem in seinem ursprünglich auf Englisch verfassten Text viele umgangssprachliche spanische (vielmehr salvadorianische) Redewendungen, die in einem Register übersetzt werden. Dadurch wirkt der Text zwar sehr authentisch, aber in dieser Fülle ist es für den Lesefluss doch eher störend. 

Von diesen Einschränkungen abgesehen ist «Solito» ein aufwühlendes und zu Herzen gehendes Buch, das uns daran erinnert, dass hinter jedem nüchternen «Fall» und jeder nackten Migranten-Statistik ein bewegendes menschliches Schicksal steht, und eben leider auch das vieler Kinder. 

© dpa ⁄ Sibylle Peine, dpa
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