Spektakuläre Kehrtwende im Übernahmekampf um die Commerzbank: Über Finanzinstrumente hat sich die italienische Großbank Unicredit weitere Anteile am Frankfurter Dax-Konzern gesichert und hält rechnerisch bereits gut ein Fünftel der Aktien. Zugleich will die Unicredit ihren Anteil an der Commerzbank noch weiter aufstocken. Damit wird ein offizielles Übernahmeangebot für Deutschlands zweitgrößte Privatbank wahrscheinlicher - trotz Widerstands des Bunds, der vorerst keine weiteren Commerzbank-Aktien verkaufen will.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierte das Vorgehen der Unicredit scharf. «Unfreundliche Attacken, feindliche Übernahmen sind nicht das, was für Banken eine gute Sache ist», sagte Scholz in New York. Die Bundesregierung habe sich daher klar in dieser Richtung positioniert. Ähnlich äußerte sich die Gewerkschaft Verdi. Gewerkschaftssekretär und Commerzbank-Aufsichtsrat Stefan Wittmann sprach von einem «aggressiven Schritt».
Die Unicredit erwarb indirekt über Finanzinstrumente den Zugriff auf weitere 11,5 Prozent der Commerzbank-Anteile und kommt damit rechnerisch auf etwa 21 Prozent, wie die Bank in Mailand mitteilte. Inklusive der Finanzinstrumente wären die Italiener mit Abstand größter Commerzbank-Aktionäre vor dem Bund, der 12 Prozent der Anteile hält. Die Abwicklung über die Finanzinstrumente in Aktien ist aber erst nach Genehmigung der Aufsichtsbehörden möglich.
Zugleich beantragte die Unicredit die behördliche Erlaubnis, ihren Anteil auf bis zu 29,9 Prozent zu erhöhen. Darüber entscheidet die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelte Bankenaufsicht für den Euroraum. Ab einem Anteil von 30 Prozent wäre die Unicredit gesetzlich verpflichtet, ein öffentliches Übernahmeangebot vorzulegen.
Orcel geht in die Offensive
Das weitere Vorgehen hänge von den Ergebnissen der Gespräche mit Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank sowie weiteren Beteiligten in Deutschland ab, schrieb die Unicredit. Sie habe ihr wirtschaftliches Engagement so abgesichert, dass sie ihre Beteiligung mit begrenztem Abschlag wieder verkaufen könne.
Mit dem neuerlichen Aufstocken vollzieht Unicredit-Chef Andrea Orcel eine Kehrtwende. Noch vergangene Woche hatte der Manager öffentlich erklärt, er strebe keine feindliche Übernahme an. Man könne die Beteiligung an der Commerzbank auch gewinnbringend wieder verkaufen. «Bei solchen Transaktionen müssen sich die Hauptakteure einig sein», sagte Orcel der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Doch nun sieht es nicht danach aus, als habe die Unicredit lediglich ein Interesse als strategischer Investor.
Die Unicredit hatte den Teil-Ausstieg des Bundes bei der Commerzbank genutzt und war bei dem Dax-Konzern eingestiegen. Der deutsche Staat hatte die Commerzbank in der Finanzkrise mit Milliarden vor dem Kollaps gerettet und wollte seine Beteiligung schrittweise verkaufen - wurde aber dann vom Einstieg der Unicredit überrumpelt.
Bund stellt sich quer - und ist trotzdem nur die Nummer zwei
Vom Bund können die Italiener vorerst keine weitere Hilfe erwarten. Nachdem der deutsche Staat jüngst 4,5 Prozent der Commerzbank-Aktien an die Unicredit verkauft hatte, will er seine übrige Beteiligung «bis auf weiteres» behalten, wie die Finanzagentur des Bundes am Freitagabend mitteilte. Unklar blieb aber, welchen Zeitraum «bis auf weiteres» genau bedeutet. In Berlin wird das Vorgehen der Unicredit als überfallartig gesehen.
Der Commerzbank nahm die Nachricht aus Mailand zur Kenntnis. «Es gilt weiterhin, dass der Commerzbank-Vorstand immer strategische Optionen im Sinne seiner Stakeholder – also Investoren, Kunden und Mitarbeitern - verantwortungsvoll prüfen wird», sagte ein Sprecher.
Das Management der Bank trifft sich dieser Tage im Taunus und wollte dort ursprünglich über Updates für ihre Strategie 2027 beraten, mit der das Institut profitabler werden will. Nun drängen ganz andere Fragen in den Vordergrund. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Unabhängigkeit der Commerzbank mehr als 150 Jahre nach ihrer Gründung 1870.
Commerzbank an der Börse deutlich kleiner
Die Unicredit ist an der Börse mehr als 60 Milliarden Euro wert und könnte sich eine Übernahme der Commerzbank leisten, die nur mit rund 18 Milliarden Euro bewertet wird. Käme es zu einer Übernahme, würde ein europäischer Bankenriese entstehen.
Die Gewerkschaft Verdi und der Gesamtbetriebsrat der Commerzbank fürchten bereits einen Kahlschlag. Sollte ein Deal mit der Unicredit zustande kommen, könnten zwei Drittel der Arbeitsplätze wegfallen, sagte der Vorsitzende des Commerzbank-Gesamtbetriebsrats, Uwe Tschäge. Ende Juni zählte die Commerzbank nach eigenen Angaben weltweit rund 38.700 Vollzeitstellen, davon mehr als 25.000 in Deutschland. Auch habe die Commerzbank eine wichtige Rolle als Finanzierer des deutschen Mittelstands, warnt Verdi.
Als abschreckendes Beispiel führen die Arbeitnehmervertreter die Unicredit-Tochter HypoVereinsbank (HVB) an, die 2005 von den Italienern übernommen wurde und seither kräftig geschrumpft ist. Inzwischen firmiert die HVB nur noch in der Rechtsform einer GmbH unter dem Dach der Unicredit.
Unicredit wirbt mit Vorteilen für Aktionäre
Orcel hatte mehrfach für die Vorteile einer Fusion geworden - und zugleich deutlich gefordert, dass die Commerzbank profitabler werden müsse. Einsparmöglichkeiten gebe es vor allem bei den Zentralfunktionen. Auch am Montag betonte die Unicredit die Vorteile eines Zusammengehens: Man glaube, dass in der Commerzbank substanzieller Wert stecke. Dieser könne entweder eigenständig freigesetzt werden oder zusammen mit der Unicredit - «zum Wohl für Deutschland und der Aktionäre der Commerzbank».