Die Gefährdung der Gesellschaft in Thüringen durch Rechtsextreme ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes ungebrochen hoch. Extremisten versuchten verstärkt, durch Populismus und gezielte Desinformation den Staat zu destabilisieren, heißt es im neuen Verfassungsschutzbericht, der vom Innenministerium in Erfurt vorgelegt wurde. Sie werteten den Staat als «System» ab. Bestimmt werde die rechtsextreme Szene von der Thüringer AfD.
Angesichts des Rechtsrucks bei der Landtagswahl Anfang September, bei der die in Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestufte AfD erstmals stärkste Fraktion in einem Landesparlament wurde, war auf den Bericht gewartet worden. In dem Bericht werden der rechtsextremistischen Szene Thüringens 2023 etwa 2.880 Personen zugerechnet nach 2.400 im Jahr 2022.
Weiter Zulauf für die AfD
Im Spektrum der rechtsextremistischen Parteien dominiere die AfD. Sie verzeichne einen personellen Zuwachs auf etwa 1.650 Menschen. Das waren 350 mehr als 2022. Im Jahr 2021 zählte der Verfassungsschutz 1.200 Menschen zur AfD.
«Ihrem völkisch-nationalistischen Ziel eines ethnisch-homogenen Staatsvolks entsprechend ist ihr Agieren von den Themen "Anti-Asyl" und Migration geprägt», heißt es in der Mitteilung des Innenministeriums zur AfD. Und: «Mit den Forderungen nach "millionenfacher Remigration" und "Rückabwicklung" von erworbenen deutschen Staatsangehörigkeiten treten ihre rassistischen und rechtsstaatswidrigen Positionen offen zutage.»
Verharmlosung der NS-Zeit
Große Besorgnis erwecke zudem, «dass nationalsozialistischer Sprachgebrauch innerhalb der Partei zur Verharmlosung der NS-Zeit insgesamt beiträgt und Unsagbares dadurch scheinbar salonfähig wird – auch über die AfD hinaus». Zudem spreche die Partei ein «Vorfeld» aus Vereinen und Gruppierungen mit ähnlichen Zielsetzungen an, «die in der Gesellschaft Rechtsextremismus normalisieren sollen», schreiben die Verfassungsschützer in ihrem Bericht.
Der Bericht verweist auf mehrere öffentliche Äußerungen der AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke und Stefan Möller. Beide setzten bei der Zugehörigkeit von Menschen «zur rechtlich verfassten Gemeinschaft kulturelle und damit letztlich biologische, nicht aber rechtliche Kriterien an, wobei diese kulturellen Unterschiede als unabänderlich behauptet werden».
Andere rechte Gruppierungen stagnieren
«Mit Ausnahme der AfD ist bei allen übrigen rechtsextremistischen Parteien eine Phase relativer Stagnation festzustellen», heißt es in dem Bericht. Rechtsextreme Parteien wie Die Heimat, die vormals als NPD firmierte, oder Der III. Weg kamen 2023 auf 100 beziehungsweise 30 Mitglieder.
Linksextreme Szene gut vernetzt
Dem linksextremen Spektrum in Thüringen rechnete der Thüringer Verfassungsschutz im vergangenen Jahr etwa 420 Männer und Frauen zu – ein Jahr zuvor waren es noch etwa 400 Personen. «Die Thüringer Szene ist überregional sehr gut vernetzt und in bundesweite Zusammenhänge eingebunden», so die Verfassungsschützer.
Innerhalb der Szene gebe es ein hohes Radikalisierungspotenzial, das auch mit den vielen von Rechtsextremen genutzten Objekten in Thüringen zusammenhänge. «Selbst Taten mit einer hohen Gewaltintensität scheinen szeneintern als legitim zu gelten.» Sie fänden keinen expliziten Widerspruch. «Eine Gefährdung von Menschenleben wird billigend in Kauf genommen.»
Keine nennenswerten Veränderungen notiert der Bericht für den Bereich der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter. Wie im vergangenen Jahr auch wurden etwa 1.000 Menschen zu dieser Szene gerechnet, die die Existenz der Bundesrepublik leugnet.
CDU für Stärkung des Verfassungsschutzes
Zusätzliche Bedrohungen, wie die Angriffe auf IT-Systeme oder gezielte Desinformation und Propaganda, erforderten eine nachrichtendienstliche Abdeckung, die der Thüringer Verfassungsschutz zuletzt nur unzureichend gewährleisten konnte, erklärte der CDU-Innenpolitiker Jonas Urbach. Seine Partei wolle den Verfassungsschutz personell und technisch stärken und den Thüringer Sonderweg eines weitgehenden Verzichts auf V-Leute beenden. Zur Abwehr terroristischer Bedrohungen sollte dem Verfassungsschutz zudem die Befugnis zu Online-Durchsuchungen ermöglicht werden.
Die Vorlage des Verfassungsschutzberichtes hatte sich in diesem Jahr deutlich verzögert. Als einen Grund dafür hatte das Innenministerium eine Klage der AfD gegen Passagen aus dem Verfassungsschutzbericht 2021 genannt. Der Verfassungsschutz habe die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Weimar in dieser Sache abwarten wollen.
Im Zuge dieses Rechtsstreits hatte die AfD vom Verfassungsschutz gefordert, einzelne Passagen des 2021-er Berichts zu streichen. Ende August hatte das Verwaltungsgericht das Begehren der AfD zurückgewiesen.