Das Bistum Osnabrück will aus den Ergebnissen einer Studie zur sexualisierten Gewalt in seinem Gebiet Schlüsse für die Präventions- und Bildungsarbeit ziehen. Generalvikar Ulrich Beckwermert hob die große Zahl an Betroffenen und Beschuldigten hervor. «Dadurch werden die schrecklichen Dimensionen des Skandals sexualisierter Gewalt auch in unserem Bistum sichtbar», sagte der Geistliche in Vertretung des erkrankten Osnabrücker Bischofs Dominicus.
«Wir sprechen von 349 identifizierbaren Betroffenen und gesicherten Hinweisen auf mindestens 60 weitere Betroffene in der Zeit von 1945 bis heute.» Die Dunkelziffer sei möglicherweise um das Zehnfache höher.
Beschuldigt wurden nach den Recherchen 122 Kleriker, das entspricht etwa 4 Prozent der in diesem Zeitraum eingesetzten Priester. Bis 1995 gehörte auch das heutige Erzbistum Hamburg zum Bistum Osnabrück. Es umfasst zudem Gebiete im westlichen Niedersachsen sowie Teile der Stadt Bremen.
In der Aufarbeitung dürfe nicht nachgelassen werden, betonte der Generalvikar. Es gehe darum, «Betroffene bestmöglich zu unterstützen und alles Erdenkliche dafür zu tun, dass sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche keine Zukunft mehr hat».
Bischof Bode trat nach Zwischenbericht zurück
Das Bistum Osnabrück hatte ein unabhängiges Team mit Juristen und Historikern beauftragt, die sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutzbedürftigen Erwachsenen auf seinem Gebiet seit 1945 zu untersuchen. Dafür stellte die Kirche 1,3 Millionen Euro bereit.
Vor zwei Jahren wurde ein Zwischenbericht vorgestellt, der etliche Fehler im Umgang mit sexualisierter Gewalt nachwies. In der Folge trat der damalige Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode zurück. Im am 2. Oktober vorgestellten Abschlussbericht bescheinigten die Forschenden dem Bistum eine Lernkurve, die nach oben zeige.
Neue Ansprechpersonen als Fortschritt
Nach dem Zwischenbericht habe das Bistum Osnabrück die Notwendigkeit für Prävention und Intervention erkannt, sagte Ilona Düing, Sprecherin des Betroffenenrates Nord. Es seien Stellen für unabhängige Ansprechpersonen geschaffen worden. An die Unabhängige Beauftragte im Schutzprozess gegen sexualisierte Gewalt sowie an den Ombudsmann für Betroffene im Bistum Osnabrück können sich auch Menschen wenden, die zum Beispiel Übergriffe durch kirchliche Mitarbeiter erleben.
Deutlich kritisierte Düing das Erzbistum Hamburg: «Eine wertschätzende Zusammenarbeit, die wir im Bistum Osnabrück und auch in Hildesheim durchaus erleben, gibt es mit dem Erzbistum Hamburg nicht.» Tatverdächtige seien im Amt geblieben, obwohl Anerkennungsleistungen an Betroffene geflossen seien. «So macht uns das fassungslos. Fassungslos im Jahr 2024», sagte die Vertreterin des Gremiums.
Beschuldigte im Erzbistum Hamburg als Priester tätig
Ein Sprecher des Erzbistums Hamburg sagte zu der Kritik auf dpa-Anfrage: «Es handelt sich um zwei Geistliche im Ruhestand, gegen die Beschuldigungen vorgebracht wurden, die in die Zeit vor 1995 zurückreichen.» Nach der bisherigen Auffassung habe das Erzbistum «den priesterlichen Einsatz von Geistlichen nur dann eingeschränkt, wenn sie durch Beweis oder Geständnis als überführt gelten können». Die Zahlung einer Anerkennungsleistung sei daher keine Aussage über eine feststehende Täterschaft.
Die sogenannte Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen zahlt in der katholischen Kirche auf Antrag von Missbrauchsopfern nach Prüfung der Plausibilität zum Beispiel Therapiekosten. Düing rief das Bistum Osnabrück dazu auf, die Ergebnisse der unabhängigen Studie nach Rom zu schicken, damit sie im Vatikan kirchenrechtlich geprüft würden. Dies gelte vor allem für den Umgang mit Tatverdächtigen im Erzbistum Hamburg.
«Aufgrund des Berichts der Universität Osnabrück werden wir unseren Umgang mit Beschuldigten kritisch reflektieren und dazu auch externe Stimmen einbeziehen», sagte dazu der Sprecher aus Hamburg. Zu der am Mittwoch geäußerten Kritik werde das Erzbistum Hamburg sowohl mit dem Betroffenenrat als auch mit der Unabhängigen Aufarbeitungskommission das Gespräch suchen.
Die Erkenntnisse der Forschenden von der Universität Osnabrück sollen laut nach Angaben des Osnabrücker Generalvikars Beckwermert in die Präventions- und Bildungsarbeit einfließen. Dabei gehe es darum, Erzählungen zu erkennen, mit denen sexualisierte Gewalt verschleiert oder verharmlost werde. Der Generalvikar sprach zudem davon, die «Wahrnehmung zu schärfen und der verheerenden Schweigespirale den Boden zu entziehen, die Täter oft genug geschützt hat».