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«Ein Phänomen»: Das goldene Jahr von Italiens Jorginho

Er ist vielleicht einer der unterschätztesten Profis in Europa. Italiens Mittelfeld-Chef Jorginho ist Champions-League-Sieger mit dem FC Chelsea und greift nun nach dem EM-Pokal.
Jorginho
Italiens Jorginho verwandelte den entscheidenden Elfmeter gegen Spanien. © Justin Tallis/Pool AFP/AP/dpa

Es könnte ein Jahr der Superlative für Jorginho werden.

Den Champions-League-Pokal hat Italiens Nationalspieler mit dem FC Chelsea bereits erobert, vom EM-Titel trennt ihn nur noch der Sieg im Endspiel gegen England am Sonntag (21.00 Uhr) in seiner aktuellen Heimat London - und auch bei der Wahl zum Weltfußballer sehen ihn italienische Medien längst ganz vorne. «Jorginho ist Gold», schrieb «Tuttosport» am Donnerstag über den 29-Jährigen, der als erst zehnter Spieler in beiden großen Finals spielen und siegen könnte.

Unspektakulär und leise, aber mit enormer Präzision, Fleiß und Passgenauigkeit hat sich der in Brasilien geborene Jorge Luiz Frello Filho in den vergangenen Jahren zum Herzstück der italienischen Elf entwickelt. Aus dem System von Roberto Mancini ist er längst nicht mehr wegzudenken, als einziger Feldspieler Italiens stand er in fast allen EM-Spielen über 90 Minuten auf dem Platz. «Er ist für uns ein sehr wichtiger Spieler, weil er das Tempo vorgibt», lobte Mancini.

Entscheidender Elfmeter gegen Spanien

Die bisherige Krönung von Jorginhos EM: Der lässig verwandelte entscheidende Elfmeter beim 4:2 nach Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Spanien. «Ich habe einmal tief durchgeatmet und versucht, ruhig zu bleiben», sagte Jorginho, der auch im Team extreme Wertschätzung genießt. «Er ist ein Phänomen, er macht kaum Fehler», sagte Nicolò Barella. Marco Verratti urteilte: «Er lässt alles sehr leicht aussehen. Er ist unersetzlich für diese Mannschaft.» Und das auch als Kommunikator, «Radio Jorginho» wird er deshalb in Italien genannt.

Dabei war Jorginhos Weg auf die größte Fußball-Bühne Europas alles andere als vorgezeichnet. Seine Mutter Maria Tereza, selbst eine leidenschaftliche Fußballerin, brachte ihrem Sohn früh den Sport nahe. Zunächst waren Ronaldo, Ronaldinho und Kaká die Vorbilder. Es folgte ein Wechsel in die defensivere Position, nun orientierte er sich an Andrea Pirlo und Xavi: «Diese Rolle hat mir gefallen.»

Mit 15 lebte Jorginho im Kloster

Mit 15 ging Jorginho nach Italien, in die Heimat eines Urgroßvaters. Er lebte dort in einem Kloster und versuchte, bei Hellas Verona den Durchbruch zu schaffen. Doch es folgten viele Rückschläge, er dachte an eine Rückkehr in die Heimat. «Meine Mutter sagte mir, du wirst nicht aufgeben», berichtete er über die Unterstützung aus der Ferne. Es folgten Einsätze für Verona und 2014 der Wechsel zum SSC Neapel, von wo ihn Coach Maurizio Sarri 2018 mit zum FC Chelsea nahm. Auch hier musste er viel Kritik einstecken, ehe er zum Stammspieler wurde. «Er spielt großartige Bälle», lobte Chelsea-Coach Thomas Tuchel.

Auch seine Entwicklung in der Nationalelf schien lange undenkbar. Als 2015 über die Rolle eingebürgerter Profis in der stolzen Squadra Azzurra hitzig debattiert wurde, sagte der heutige Coach Mancini: «Ein italienischer Spieler verdient es, in der Nationalmannschaft zu spielen, während diejenigen, die nicht in Italien geboren wurden, es nicht verdienen.» 2021 redet in Italien niemand mehr darüber, neben Jorginho spielen in Emerson und Rafael Tolói zwei weitere gebürtige Brasilianer wie selbstverständlich in der Squadra Azzura.

Kritik als Motivation

Das könnte auch mit Jorginhos Leistungen zusammenhängen. Auch nach dem Aus in der WM-Qualifikation 2018 blieb er unter Mancini im Team, während viele andere gehen mussten. «Ich habe die Kritik immer als Motivation gesehen, es besser zu machen», sagte Jorginho über die Widerstände in seiner Karriere. «Man muss immer weitermachen, an sich selbst glauben und Lust haben, zu gewinnen und es besser zu machen.»

© dpa ⁄ Miriam Schmidt, Nils Bastek und Jan Mies, dpa
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