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Plan für neuen Wehrdienst: 200.000 Reservisten mehr nötig

Der Verteidigungsminister legt Pläne für einen «Auswahl-Wehrdienst» vor. Erstmals nennt er eine Zahl: Deutschland braucht für die Nato-Aufgaben 460.000 Soldaten, darunter 200.000 weitere Reservisten.
Boris Pistorius
Sein Vorschlag ist ein erster Schritt hin zur möglichen Wiedereinführung einer neuen Wehrpflicht: Boris Pistorius. © Kay Nietfeld/dpa

Verbindliche Musterungen, verpflichtende Fragebögen und eine Erfassung Wehrtauglicher: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat ein Konzept für einen neuen Wehrdienst vorgelegt - als Grundlage für eine schnelle Verstärkung der Bundeswehr im Verteidigungsfall.

Aus dem Pool von 400.000 Kandidaten eines Jahrgangs sollen damit von 2025 an jährlich zunächst 5000 zusätzliche Wehrpflichtige, später auch mehr gewonnen werden. «Ziel ist, diese Zahl Jahr für Jahr aufwachsen zu lassen und damit die Kapazitäten zu erhöhen», sagte Pistorius. Und: «Wir müssen diesen Aufwuchs hinbekommen.»

Das neue Modell soll aus Grundwehrdienst von sechs Monaten mit einer Option für zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst bis zu zusätzlichen 17 Monaten bestehen. Dazu wird eine verpflichtende Erfassung eingeführt, in der junge Männer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu einem Wehrdienst benennen müssen - und junge Frauen dies tun können. Eine Gleichbehandlung der Geschlechter beim Wehrdienst ist im Grundgesetz bisher nicht vorgesehen. Pistorius sprach sich dafür aus, dies zu ändern, mit den Schritten zu einem neuen Wehrdienst aber nicht darauf zu warten.

Reaktion auf die andere Sicherheitslage in Europa und der Welt

Die Bedrohungslage sei eine völlig andere ist als noch vor wenigen Jahren und Russland führe gegen die Ukraine einen völkerrechtswidrigen Krieg, saget Pistorius zur Begründung. Russland habe die Rüstungsausgaben massiv erhöht, produziere Waffensysteme auf Vorrat und habe auf Kriegswirtschaft umgestellt. «Die verbalen Attacken gegenüber Nato-Ländern und anderen Nachbarstaaten, nehmen sichtbar und hörbar zu.»

Für den Plan müssen mindestens das Wehrpflichtgesetz und das Soldatengesetz angepasst werden. Der Verteidigungsminister machte deutlich, dass er dies bis zum zweiten Quartal 2025 erwarte.

Pistorius sagte: «Wir brauchen nach Einschätzung der Bundeswehr und der Nato rund 200.000 Reservisten mehr. Das heißt, wir reden über dann insgesamt rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten». Ziel sind damit 203.000 stehende Streitkräfte, 60.000 heutige Reservisten und 200.000 zusätzliche Reservisten. Derzeit hat die Bundeswehr knapp 181.000 Männer und Frauen und rund 60.000 Reservisten.

«Wir wollen die Besten und die Motiviertesten»

Auf der Grundlage des Fragebogens soll die Bundeswehr die Entscheidung darüber treffen, wer zur Musterung eingeladen wird. «Wir sehen dann damit einen Auswahl-Wehrdienst vor», sagte Pistorius. «Es geht genau darum: Wir wollen die Besten und die Motiviertesten und bieten denen gleichzeitig etwas dafür an.» Den ausgewählten jungen Menschen sollen einen sechsmonatigen Grundwehrdienst leisten und können sich für bis zu insgesamt 23 Monate zu verpflichten. Sie werden monatlich mehr als 1800 Euro erhalten und bei einer Verpflichtung über sechs Monate hinaus eine Prämie von beispielsweise 5000 Euro.

Die Militärplaner gehen davon aus, mit ihren Angeboten eine deutlich ausreichende Zahl Freiwilliger zu finden. Pistorius nannte als Sanktion für die Pflichtteile des Systems aber auch Bußgelder. Er sagte: «Aber sollte das im Bedarfsfall anders sein, dann müssen wir natürlich immer auch eine verpflichtende Option nachdenken.»

Die SPD-Spitze pochte zuletzt auf Freiwilligkeit

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken setzt beim neuen Wehrdienst-Modell allerdings weiter auf Freiwilligkeit. «Für mich ist das Erleben von Selbstbestimmung ganz entscheidend für die Akzeptanz der Demokratie», sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch). Die Union kritisierte den Pistorius-Plan. Der verteidigungspolitische Sprecher Florian Hahn (CSU) sagte, Pistorius habe «ein Konzept für einen Pflichtdienst angekündigt und neun Monate später ist ein verbesserter Freiwilligendienst tatsächlich übrig geblieben». Und: «Offensichtlich hat ihm der Bundeskanzler selbst und die Ampel die Luft rausgelassen in diesen neun Monaten.»

Von den Ampel-Partner FDP und Grüne wurde die Bereitschaft zu einer konstruktiven Diskussion betont. Die Wehrbeauftragte Eva Högl warb für breite Unterstützung für das neue Wehrdienstmodell. «Es kann helfen, die Personalprobleme der Bundeswehr anzugehen. Und es würde einen wichtigen Beitrag zu unserer Wehrhaftigkeit leisten. Denn die gesamte Gesellschaft muss unseren Frieden, unsere Freiheit und unsere Demokratie verteidigen - militärisch und zivil», teilte Högl in Berlin mit.

Die allgemeine Wehrpflicht für Männer lebt im Verteidigungsfall wieder auf

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Im Wehrpflichtgesetz ist aber weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt, ohne dass es nach 2011 noch konkrete Vorbereitungen für eine solche Situation gab.

Öffentlich diskutiert wurde zuletzt auch eine weiter gefasste neue Dienstpflicht, die auch Rettungsdienste und den Katastrophenschutz umfassen könnte. Für eine Dienstpflicht junger Frauen müsste das Grundgesetz geändert werden. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann teilte mit: «Im Sinne der Wehrgerechtigkeit würden sowohl junge Frauen als auch junge Männer einen sogenannten Pflichtfragebogen ausfüllen müssen. Die vom Minister forcierte Konzentration auf junge Männer dürfte nicht zu halten sein.»

Bundeswehrverband sieht nun Testfall für die Zeitenwende

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, hatte vor Bekanntwerden der Pistorius-Pläne entschlossene Schritte für einen neuen Wehrdienst gefordert. Die Personalzahlen in der Bundeswehr seien in diesem Monat auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen, sagte Wüstner der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «In den kommenden Tagen wird sich zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitenwende zumindest verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist», sagte der Verbandschef. «Denn wer das von sich behauptet - ich hoffe, dass es zumindest die Fachpolitiker tun - der wird sich nicht pauschal gegen eine neue Wehrform oder eine neue Art Wehrpflicht wenden können.»

© dpa ⁄ Carsten Hoffmann, dpa
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