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Massenproteste gegen rechts in Frankreich

Im Eiltempo muss Frankreichs Opposition sich für die von Macron angesetzte Parlamentswahl formieren. Links und rechts gibt es ein Gezerre um Bündnisse - und zugleich gibt es Großdemos gegen rechts.
Demonstration
Menschen während einer Anti-Rechts-Kundgebung in Toulouse. © Ed Jones/AFP/dpa

Mit seinem mächtigen Präsidenten und der Pariser Zentralregierung vermittelt Frankreich zumeist ein Bild politischer Stabilität. Seit Präsident Emmanuel Macron aber als Reaktion auf die Niederlage seiner liberalen Kräfte bei der Europawahl und den haushohen Sieg der Rechtsnationalen überraschend Neuwahlen angesetzt hat, greift ein Gerangel um Bündnisse und Posten in Frankreichs Politik um sich, es kommt zu chaotischen Szenen und Ex-Präsidenten schalten sich ein. Auch die Bürger melden sich zu Wort: Am Wochenende demonstrierten mindestens 250.000 Menschen in Paris und vielen Städten gegen das Erstarken des rechten Lagers, das an die Schaltstellen der Macht strebt.

Viele Franzosen reiben sich entgeistert die Augen angesichts des Spektakels, das die Oppositionsparteien ihnen vor der Wahl bieten - diese ist in zwei Durchgängen für 30. Juni und 7. Juli angesetzt. Darunter: der Chef der bürgerlich-konservativen Partei Les Républicains, Éric Ciotti, der die Parteizentrale abriegeln lässt, um eine Sitzung zu seinem Rauswurf zu verhindern, mit Tauziehen bis vor Gericht und geheimen Beratungen mit der extremen Rechten.

Konservative werfen ihren Parteichef zweimal binnen drei Tagen raus

Ciotti hatte Anfang der Woche überraschend und unabgestimmt eine Kooperation mit Marine Le Pens rechtsnationalem Rassemblement National (RN) sondiert. Führungskräfte der einstigen Volkspartei, die zuletzt mit Nicolas Sarkozy von 2007 bis 2012 den Präsidenten stellte, empörten sich über diesen Tabubruch und warfen Ciotti aus der Partei - binnen drei Tagen gleich zweimal, weil Ciotti den Entscheid nach den Statuten für ungültig hielt.

Am Freitagabend hob ein Pariser Gericht Ciottis Rauswurf in einem Eilentscheid vorläufig auf: Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens bleibt er demnach Parteichef. In der Sonntagszeitung «JDD» kritisierte Ex-Präsident Sarkozy Ciottis Alleingang: Dieser hätte sich mit Führungsgremien der Partei beraten und einen kurzfristigen Mitgliederentscheid organisieren müssen. Dass er von Ciottis Rechtskurs nichts hält, machte Sarkozy auch deutlich: «Ich halte an meinen Überzeugungen fest. Ich teile seine nicht.»

Hunderttausende demonstrieren gegen Rechtsruck

Gegen einen Rechtsruck in Frankreich und den Griff der Le Pen-Partei nach der Macht demonstrierten am Wochenende Hunderttausende im Land. «Entweder es ist die extreme Rechte, oder es sind wir», sagte die Fraktionschefin von Frankreichs Linkspartei, Mathilde Panot, an der Spitze des Pariser Demonstrationszugs mit Blick auf die Wahl. «Man muss nicht RN wählen, um Frankreich zu lieben» und auch «Nie wieder» stand auf Transparenten von Demonstranten in Marseille. Die bange Frage vieler Menschen ist, ob die Brandmauer gegen rechts dieses Mal noch hält, die in Frankreich bislang im entscheidenden Wahlgang immer noch verhindert hat, dass die Rechte an die Macht gelangt.

Auch beim linken Lager läuft es nicht rund. Zwar kündigte ein neues Linksbündnis aus Sozialisten, Linkspartei (La France insoumise), Grünen und Kommunisten ein gemeinsames Antreten zur Wahl an - aber ohne zunächst einen Spitzenkandidaten zu benennen. Denn trotz der vor den TV-Kameras inszenierten Einigkeit gibt es ein Kräftemessen zwischen Sozialisten und Linkspartei. Die Führungsfigur der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, will bei einem Sieg Premierminister werden. Anders als vor der Europawahl ist aber nicht mehr die Linkspartei stärkste linke Partei, sondern die Sozialisten sind es, die bei der Europawahl mit ihrem Kandidaten Raphaël Glucksmann punkteten.

Alt-Linker Mélenchon gibt sich nicht geschlagen

Glucksmann sprach sich gegen Mélenchon als Spitzenkandidaten aus - und auch anderen im linken Lager ist der Alt-Linke ein Dorn im Auge. Offenbar aber gibt der Strippenzieher und Stratege Mélenchon sich längst nicht geschlagen und setzte seinen Willen bei der Aufstellung der Kandidatenliste durch. Von «Säuberung» und «Sektierertum» war am Samstag die Rede, als verdiente Abgeordnete sich nicht auf der Liste wieder fanden - wie etwa Alexis Corbière, der Mélenchon vorwarf, «seine Rechnungen zu begleichen». Mélenchon konterte in der Zeitung «20 minutes»: «Listenplätze auf Lebenszeit gibt es nicht». Was zähle, sei politische Kohärenz und Loyalität in der Fraktion.

Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier äußerte sich «extrem schockiert» über die Vorgänge bei der Linkspartei und forderte Beratungen, auch andere im neuen Bündnis reagierten irritiert - wahrlich kein guter Start für die neue Linksallianz. Diese erhielt unerwartet Unterstützung von Ex-Präsident François Hollande (69), der seine Kandidatur als Abgeordneter ankündigte. «Noch nie war die extreme Rechte so nah an der Macht. In unserem Land herrscht politische Verwirrung», teilte der Sozialist am Samstag mit. Angesichts dieser ernsten Lage habe er beschlossen, zur Wahl anzutreten. 

Macron präsentiert sich als Garant von Stabilität

Präsident Macron könnte das Chaos links und rechts seines Mitte-Lagers bei der Wahl durchaus in die Karten spielen - auf jeden Fall präsentierte er sich und seine Bewegung als den einzigen Garanten für Stabilität in Frankreich und warnte vor der Gefahr durch das linke und rechte Lager. Die Blöcke seien sich bei keiner Zukunftsfrage einig und könnten keine regierungsfähige Mehrheit bilden.

«Ich glaube fest, dass nur die politischen Kräfte, die heute die Präsidentenmehrheit bilden, die Fähigkeit haben, ein kohärentes, realistisches und zukunftsweisendes Regierungsprojekt voranzubringen», sagte Macron. Kommentatoren in Frankreich meinten auch, Macron könne mit der kurzfristig angesetzten Wahl die Unordnung bei seinen Gegnern absichtlich provoziert haben, um als politischer Ruhepol bessere Karten zu haben.

Nazi-Jäger Klarsfeld würde eher RN statt die Linken wählen

Der als Nazi-Jäger bekanntgewordene Jurist Serge Klarsfeld sorgt unterdessen mit Äußerungen zum RN für Diskussionsstoff. Im Interview des Fernsehsenders LCI sagte Klarsfeld mit Blick auf die anstehende Parlamentswahl, dass er im Fall eines Duells nicht für die Linkspartei, sondern für das RN stimmen würde. 

Zur Begründung sagte der 88-Jährige, dass sich das Rassemblement National gewandelt habe und inzwischen auf der Seite der Juden stehe. Diese Position vertritt Klarsfeld bereits seit längerem. Das RN unterstütze die Juden und den Staat Israel, und insofern würde er für eine pro-jüdische Partei stimmen, erklärte Klarsfeld. Zugleich sagte er aber, dass er bei der anstehenden Wahl in seinem Wahlkreis wie gewohnt für eine Partei der Mitte stimmen werde.

Frankreichs Linkspartei, die im Moment einen ausgesprochen propalästinensischen Kurs fährt, warf Klarsfeld vor, «dezidiert antijüdisch» zu sein. Auch andere Parteien wie die Sozialisten werfen der Linkspartei im Moment Antisemitismus vor. Die Haltung der Partei zum Gaza-Krieg war der Grund für das Auseinanderbrechen eines linken Bündnisses in der Nationalversammlung. Dennoch wollen die linken Parteien bei der Wahl nun abermals mit einer Linksallianz antreten.

Der Franzose Serge Klarsfeld und seine deutsche Frau Beate sorgten für die Enttarnung untergetauchter NS-Verbrecher und wurden deshalb als «Nazi-Jäger» bekannt. So spürten sie in den 1970er Jahren den wegen seiner Grausamkeit als «Schlächter von Lyon» gefürchteten Gestapo-Chef Klaus Barbie auf, der versteckt in Bolivien lebte. Neben Simon Wiesenthal galten die Klarsfelds als die wohl bekanntesten Verfolger von NS-Verbrechern.

© dpa ⁄ Michael Evers, dpa
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