Israel und die islamistische Hamas haben zum zweiten Mal im Rahmen des Gaza-Abkommens Geiseln und Gefangene ausgetauscht. Vier Soldatinnen kamen nach gut 15 Monaten aus der Gewalt der Hamas im Gazastreifen frei, sie wurden vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz an die israelische Armee übergeben - dort wurde ihnen ein emotionaler Empfang bereitet. Im Gegenzug entließ Israel etwa 200 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen.
Noch Dutzende Geiseln in Gaza
Die Freilassung erfolgt im Rahmen einer sechswöchigen Waffenruhe-Vereinbarung, die vergangenen Sonntag in Kraft getreten war. Schon vor knapp einer Woche hatte die Hamas drei verschleppte Zivilistinnen freigelassen. Die nun freigelassenen Soldatinnen sind damit die zweite Geisel-Gruppe, die freikommt. Im Gazastreifen werden noch 90 aus Israel Entführte festgehalten, davon sind israelischen Angaben zufolge mehr als 30 für tot erklärt worden.
Bewaffnete übergaben Geiseln an Rotkreuz-Vertreter
Bevor die vier Frauen im Alter von 19 und 20 Jahren in Fahrzeuge des Roten Kreuzes stiegen, wurden sie noch auf eine Bühne geführt. Dort winkten sie lächelnd - ob aus freien Stücken oder unter Drohungen, war unklar. Nach wenigen Minuten verließ der Konvoi den Platz.
Kurz nach ihrer Übergabe an das Rote Kreuz wurden die Frauen im Alter von 19 bis 20 Jahren von israelischen Soldaten in ihre Heimat gebracht. Gleich hinter der Grenze gab es ein emotionsgeladenes Wiedersehen mit den Eltern, weitere Angehörige warteten in einem Krankenhaus in Zentralisrael, in das die ehemaligen Geiseln im Militärhubschrauber geflogen wurden. Israels Präsident Izchak Herzog schrieb auf X: «Daniella, Liri, Naama und Karina - ihr seid Heldinnen! Willkommen zurück zu Hause!», schrieb er auf X. «In diesem Moment weint eine ganze Nation und freut sich mit euch.»
Freigelassene Geiseln waren Späherinnen der Armee
Bei den Freigelassenen handelt es sich um Liri Albag, Naama Levy, Karina Ariev und Daniella Gilboa. Während des Terrorangriffs der islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 waren sie vom Armeestützpunkt Nahal Oz in den Gazastreifen verschleppt worden. Die jungen Frauen gehörten zum Team der Späherinnen, deren Aufgabe es war, Vorgänge an der Grenze zu beobachten.
Für Irritationen sorgte allerdings, dass eine Zivilistin, mit deren Freilassung die israelische Regierung an diesem Samstag gerechnet hatte, nicht unter den übergebenen Geiseln war. Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte daraufhin mit, Bewohner des Gazastreifens dürfen nicht in den Norden des Gebiets zurückreisen, bis die Frau freigelassen ist. Armeesprecher Daniel Hagari warf der Hamas vor, die Vereinbarungen über die Freilassung von Geiseln verletzt zu haben. Danach sollte die Freilassung von Zivilistinnen Vorrang vor Soldatinnen haben.
In den kommenden Wochen, der ersten Phase des Waffenruhe-Abkommens, sollen noch weitere 26 Geiseln freigelassen werden. Laut der Nachrichtenseite ynet dürften acht von ihnen nicht mehr am Leben sein.
Emotionale Wiedersehen mit Angehörigen
«Nach 477 langen Tagen des nervenzehrenden Wartens konnten wir endlich Liri sehen, sie umarmen und wissen, dass sie bei uns ist - sicher und umhüllt von der Liebe ihrer Familie», hieß es in einer Stellungnahme der Familie der 19-Jährigen. «Liri hat übermenschliche Stärke gezeigt und ist durch die Hölle gegangen.»
Auch die Familien der anderen drei Frauen veröffentlichten Stellungnahmen, in der sie ihre Freude und Erleichterung ausdrückten, gleichzeitig aber an das Schicksal der verbleibenden Geiseln erinnerten.
200 Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen
Das Gaza-Abkommen sieht vor, dass Israel für jede Soldatin 50 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlässt, darunter 30 Personen, die eine lebenslange Haftstrafe verbüßen. Die Gefängnisbehörde berichtete am Nachmittag, 200 Häftlinge seien entsprechend der Vereinbarung freigelassen worden. Etwa 130 trafen am Nachmittag im Westjordanland ein. Parallel wurden etwa 70 Palästinenser nach Ägypten gebracht. Während 107 Ex-Häftlinge im Westjordanland bleiben, kommen andere nach Ost-Jerusalem, in den Gazastreifen, nach Israel und Jordanien.
«Haben in der Hölle gelebt»
Als die Busse des Roten Kreuzes in Ramallah im Westjordanland eintrafen, versammelte sich eine große Menge. Einige der Ex-Häftlinge wirkten ungläubig, als sie die Busse verließen, andere zeigten sich erleichtert über die Freilassung. Der 30 Jahre alte Mahmud Bisharat, der wegen eines Messerangriffs zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir haben in der Hölle gelebt. Wir waren wie Tote, die in Gräbern lebten. Aber Gott sei Dank sind wir raus.» Die vergangenen 15 Monate seien «wie 20 Jahre» gewesen.
Der Fernsehsender Al-Dschasira zeigte Jubelszenen aus Ramallah. Mehrere der freigelassenen Häftlinge wurden auf den Schultern der Feiernden durch die Menge getragen.
70 Gefangene in Ägypten eingetroffen
Aus Ägypten zeigte der staatsnahe TV-Sender Al-Kahira News Bilder, wie zwei Busse mit freigelassenen Palästinensern am Grenzübergang Rafah ankamen. Sie sollten von dort weiter nach Kairo gebracht werden. Mehrere Länder hätten sich bereit erklärt, sie aufzunehmen, hieß es. Arabischen Medienberichten zufolge könnten sie nach Katar, Jordanien oder in die Türkei überstellt werden. Einige könnten auch nach Europa gehen, hieß es.