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Bangladesch: Regierungschefin tritt nach Protesten zurück

Die Demonstrationen hatten mit der Forderung von Studenten begonnen, von einem Quotensystem für Jobs im Staatsdienst abzusehen. Sie schlugen in Gewalt um. Die Regierungschefin flieht nach Indien.
Proteste in Bangladesch
Proteste in Bangladesch
Proteste in Bangladesch

Bis zuletzt wehrte sie sich mit aller Härte dagegen - nun aber ist Bangladeschs langjährige Ministerpräsidentin Sheikh Hasina nach wochenlangen Protesten mit mehr als 300 Toten zurückgetreten. Das bestätigte das Militär. Armeechef Waker-uz-Zaman erklärte, eine Übergangsregierung werde die Führung des Landes übernehmen. «Diejenigen, die Morde und andere Gräueltaten verübt haben, werden bestraft werden», versprach er zudem. Er rief die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, der Armee zu vertrauen. Eine Ausgangssperre, die Hasina als Maßnahme gegen die Proteste verhängte, soll nach Militärangaben am frühen Dienstagmorgen aufgehoben werden. Dann sollten Schulen und Geschäfte wieder öffnen.

Kurz vor Hasinas Rücktritt überschlugen sich die Ereignisse: Tausende Protestierende stürmten Ganabhaban, die offizielle Residenz Hasinas in der Hauptstadt Dhaka. Sie nahmen Stühle, Kissen und sogar Enten mit, badeten im Swimmingpool und posierten für Selfies in Hasinas Bett. Die 76-Jährige sei unterdessen per Hubschrauber nach Indien geflogen worden, bestätigte ein Mitarbeiter des Außenministeriums. Ob sie von dort weiterreisen würde - sie hat Familienangehörige in Großbritannien und den USA - war zunächst unklar.

Aufnahmen im örtlichen Fernsehen zeigten nach der Flucht der Regierungschefin Tausende tanzende und feiernde Demonstranten in Dhaka - unter anderem auf dem Campus der Universität, wo der Protest im Juli ursprünglich begonnen hatte. Andere plünderten Hasinas Büro und Räumlichkeiten ihrer Parteikollegen sowie das Parlamentsgebäude, wie auf den Fernsehbildern zu sehen war. 

Wogegen richtete sich der Protest?

Die Proteste richteten sich zunächst gegen die geplante Wiedereinführung einer kontroversen Quotenregelung im Öffentlichen Dienst. Nach dieser Regelung sollten mehr als die Hälfte der Stellen für bestimmte Gruppen reserviert sein. Die Protestierenden warfen Hasina vor, dass dadurch besonders Anhänger ihrer Regierungspartei profitieren würden. Anfangs demonstrierten lediglich Studierende. Sie forderten, dass Jobs im Öffentlichen Dienst nach Leistung vergeben werden. Ein Gericht kam den Forderungen der Demonstranten weitgehend nach. Auch aufgrund des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten weitete sich der Protest auf viele weitere Gruppen aus. Sie forderten schließlich den Rücktritt der zuletzt immer autoritärer agierenden Regierungschefin, die als völlig abgehoben galt. Die Unzufriedenheit im Land ist generell groß.

Warum ist die Unzufriedenheit im Land so groß?

Viele der 170 Millionen Einwohner des Landes haben in dem Land Mühe, über die Runden zu kommen. Trotz eines bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwungs unter Hasina - das Land beheimatet die zweitgrößte Textilindustrie der Welt - macht vielen die hohe Inflation und auch weiter hohe Arbeitslosigkeit zu schaffen. 

Wer ist Sheikh Hasina?

Hasina gilt als die am längsten amtierende Ministerpräsidentin der Welt. Insgesamt war sie 20 Jahre Regierungschefin - erstmals im Jahr 1996 für fünf Jahre und dann ununterbrochen seit 2009. Immer wieder wurde ihr von der Opposition Wahlmanipulation vorgeworfen. Ihr Aufstieg begann schon in den 1970er Jahren, als ihr Vater Sheikh Mujibur Rahman - der erste Präsident des Landes - zusammen mit fast seiner gesamten Familie bei einem Militärputsch ermordet wurde. 

Hasina befand sich zu der Zeit in Deutschland mit ihrem Mann, der dort als Atomphysiker tätig war. 1981 wurde sie Chefin ihrer Partei Awami-Liga. Menschenrechtsorganisationen werfen ihr vor, gezielt gegen jegliche Kritiker vorgegangen zu sein, Tausende wurden verhaftet. So hätten auch die Meinungs- und Pressefreiheit unter ihrer Regierung gelitten. Gleichzeitig belohnte Hasina ihre Gefolgsleute stark.

Wie stellte sich Hasina dem Protest?

Die Regierungschefin versuchte, die Proteste von Anfang an mit Härte niederzuschlagen: Sie verhängte Ausgangssperren und entsandte Armee sowie Polizei ins ganze Land. Diese setzten Gummigeschosse, Blendgranaten und Tränengas ein, um die Menschen auseinanderzutreiben. Sie ließ mehrfach über längere Zeiträume das Internet stark einschränken.

Örtlichen Medienberichten zufolge wurden mehr als Zehntausend Menschen in den vergangenen Wochen festgenommen. Mehr als 300 Todesopfer gab es demnach während der Demonstrationen. Viele der Toten hätten Schusswunden aufgewiesen, hieß es - unter anderem Demonstrierende, Polizisten, Vertreter von Hasinas Partei sowie Journalisten. Gleichzeitig beschuldigte Hasina die Oppositionsparteien, ihre Regierung mit den Protesten zu sabotieren.

Wie geht es jetzt weiter?

Beobachtern zufolge bedeutet Hasinas Rücktritt nach insgesamt 20 Jahren an der Spitze des Landes nicht unbedingt, dass dem Land nun einfache Tage bevorstehen. Der Prozess der Einigung auf eine Übergangsregierung könnte durchaus holprig sein. Feindseligkeit zwischen den Parteien sei weit verbreitet und tief verwurzelt, selbst auf lokaler Ebene, schrieb etwa die «New York Times». 

Die EU rief zu Ruhe und Zurückhaltung auf. «Es ist von entscheidender Bedeutung, dass ein geordneter und friedlicher Übergang zu einer demokratisch gewählten Regierung gewährleistet wird - unter voller Achtung der Menschenrechte und demokratischen Grundsätze», teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel in Brüssel mit. Willkürlich festgenommene Personen sollten sofort freigelassen werden.

© dpa ⁄ Anne-Sophie Galli, dpa
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