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Angriffe in Russland erlauben? Blinken lässt aufhorchen

Soll die Ukraine mit aus dem Ausland gelieferten Waffen Ziele in Russland angreifen dürfen? US-Außenminister Blinken signalisiert möglichen Kurswechsel.
Antony Blinken
«Haben bei Bedarf nachgebessert»: US-Außenminister Antony Blinken. © Šimánek Vít/CTK/dpa

In der Debatte um den Einsatz westlicher Waffen durch die Ukraine gegen militärische Ziele in Russland hat US-Außenminister Antony Blinken eine mögliche Kursänderung angedeutet.

Bei einem Besuch in Moldau signalisierte Blinken, dass die USA womöglich von ihrer rigorosen Ablehnung ukrainischer Schläge gegen Ziele auf russischem Boden abrücken könnten. Seit Beginn des Krieges habe die US-Regierung ihre Unterstützung für die Ukraine ständig an die sich verändernden Bedingungen auf dem Schlachtfeld angepasst «und bei Bedarf nachgebessert», sagte er dort. «Und genau das werden wir auch in Zukunft tun.»

Die USA hörten zu, lernten hinzu und träfen immer neue Entscheidungen dazu, was nötig sei, um sicherzustellen, dass die Ukraine sich effektiv verteidigen könne, betonte Blinken am Mittwoch in Moldau. Seine Äußerungen stießen auf großes Interesse bei einem Nato-Außenministertreffen in Prag - wie auch im Kreml.

Ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird derzeit unter Nato-Staaten kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert dies seit längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver zu bekämpfen. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bisher in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.

Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe von bestimmten Systemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und die Nato zur Kriegspartei werden könnte. Konkret geht es bei den Auflagen nach Angaben von Militärs unter anderem darum, dass die Ukraine mit Flugabwehrraketensystemen von Typ Patriot keine russischen Kampfflugzeuge im russischen Luftraum abschießen darf, um zu verhindern, dass diese Raketen oder Gleitbomben auf die Ukraine abfeuern.

Die neuen Nuancen der Amerikaner

Die USA sind der wichtigste Waffenlieferant für Kiew - daher ist von besonderer Bedeutung, mit welchem Kurs die Amerikaner vorangehen. Die USA stellen der Ukraine ihre Waffen bislang zur Verfügung, damit diese ihre besetzten Gebiete befreit, aber nicht für Angriffe auf militärische Ziele in Russland selbst. Offiziell geändert hat die US-Regierung ihre Position nicht. In den vergangenen Tagen passten Blinken und andere US-Regierungsvertreter aber nach und nach auffallend ihre übliche Sprachregelung zu dem Thema an. Daher wird derzeit jeder - sicher wohl gewählte - Halbsatz des US-Außenministers zu dem Thema seziert.

Bei einem Besuch in Kiew vor einigen Tagen hatte er gesagt, die USA unterstützten keine Angriffe außerhalb der Ukraine oder ermöglichten diese, aber die Ukraine müsse selbst entscheiden, wie sie sich am besten verteidigen könne. Dies wiederholte Blinken bei seinem Besuch in Moldau und fügte seine neuen Äußerungen hinzu.

Die Ukraine hatte durch einen monatelangen Stopp von US-Waffenlieferungen auf dem Schlachtfeld einige Rückschläge einstecken müssen. Zuletzt startete das russische Militär einen Angriff auf die zweitgrößte Stadt der Ukraine, Charkiw, die dicht an der Grenze zu Russland liegt.

Die «New York Times» hatte vor einigen Tagen berichtet, Blinken werbe - unter dem Eindruck seines jüngsten, ernüchternden Besuches in der Ukraine - innerhalb der US-Regierung dafür, dem Land den Einsatz von US-Waffen gegen Ziele innerhalb russischen Gebiets zu ermöglichen. Er wolle US-Präsident Joe Biden dazu bewegen, die Einschränkungen aufzuheben, hieß es. Das Außenministerium wollte den Bericht damals weder dementieren noch bestätigen.

Die Debatte innerhalb der Nato

Druck auf Politiker wie Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz machen seit kurzem nicht mehr nur der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, sondern auch der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Norweger warb zuletzt nahezu täglich dafür, bestehende Beschränkungen für ukrainische Angriffe zumindest teilweise aufzuheben. Hintergrund ist insbesondere die Situation um Charkiw, wo Kämpfe teils direkt an der Grenze stattfinden.

Stoltenberg und auch Verteidigungsminister östlicher Nato-Staaten sind der Ansicht, dass es keine unverantwortlichen Eskalationsrisiken gibt. Stoltenberg verwies etwa darauf, dass der Ukraine gespendete Waffen nach der Übergabe ukrainische Waffen seien und ein Teil der Nato-Staaten der Ukraine schon seit jeher Waffen ohne Auflagen liefere. Zudem betonte er, dass der Einsatz von Waffen gegen militärische Ziele durch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gedeckt sei.

Ganz klar auf seiner Seite stehen von den großen Nato-Staaten bislang aber nur Frankreich. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte am Montag nach einem Gespräch mit Scholz: «Wir denken, dass wir ihnen erlauben sollten, die Militärstandorte, von denen aus die Raketen abgefeuert werden, und im Grunde genommen die militärischen Standorte, von denen aus die Ukraine angegriffen wird, zu neutralisieren.» Scholz hingegen ließ bislang - wie Biden selbst - nicht öffentlich erkennen, dass er bestehende Auflagen weitgehend lockern will.

Kreml bekräftigt Warnung an Westen vor Angriffen auf Russland

Der Kreml warnte den Westen erneut mit Nachdruck davor, den Einsatz seiner Waffen für Angriffe auf Russland zu erlauben. «Dies alles wird natürlich unweigerlich seine Folgen haben», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. «Und es wird letztlich den Interessen jener Länder sehr schaden, die den Weg der Eskalation der Spannungen eingeschlagen haben.» Die Staaten der Nato, allen voran die USA, wählten mit «kriegerischen Äußerungen» absichtlich einen Eskalationskurs. Die Atommacht droht immer wieder, ihre Interessen unter Einsatz aller Mittel zu verteidigen.

© dpa ⁄ Christiane Jacke, Ansgar Haase, Magdalena Tröndle und Hannah Wagner, dpa
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