Alexander Zverev schaute fast schuldbewusst über das Netz zum geschlagenen Sandplatzkönig und verzichtete auf jede Jubelgeste. «Das ist heute nicht mein Moment, das ist Rafas Moment», sagte der deutsche Tennisstar und überließ nach seinem gewonnenen Sand-Spektakel bei den French Open gegen Rafael Nadal dem Rekordchampion die große Bühne. Der Spanier wurde von den 15.000 Zuschauern in seinem «Wohnzimmer» Court Philippe Chatrier trotz des bitteren Abschieds bei seinem sehr wahrscheinlich letzten French-Open-Auftritt im Stade Roland Garros gefeiert wie ein Sieger.
«Wenn es das letzte Mal war, habe ich es genossen», sagte der 37-jährige Nadal: «Für mich ist es so besonders, die Liebe der Menschen an dem Ort zu spüren, den ich am meisten liebe.» Für Zverev, der beim Erstrunden-Showdown mit 6:3, 7:6 (7:5), 6:3 die Oberhand behielt, hatte Nadal nur lobende Worte übrig: «Ich muss Sascha zu diesem großartigen Match gratulieren. Ich wünsche dir wirklich das Beste für das Turnier. Du verdienst mehr.»
In der zweiten Runde trifft Zverev auf den Sieger des Matches zwischen dem Belgier David Goffin und Giovanni Mpetshi Perricard aus Frankreich. Doch sein gewonnenes Duell mit Nadal dürfte noch lange nachwirken. «Das Level war sehr, sehr hoch», sagte die deutsche Nummer eins bei Eurosport.
Titelambitionen unterstrichen
Zverev verwandelte nach 3:05 Stunden seinen ersten Matchball gegen den 14-maligen Turniersieger und unterstrich eindrucksvoll seine Titelambitionen. Der Hamburger nahm zudem erfolgreich Revanche für das Halbfinal-Drama 2022. Damals war er dem späteren Sieger Nadal zunächst auf Augenhöhe begegnet, dann aber auf der roten Asche umgeknickt und schließlich mit dem Rollstuhl vom Platz geschoben worden.
Für Nadal, dessen ruhmreiche Karriere nach der Saison sehr wahrscheinlich endet, war es das erste Erstrunden-Aus bei seinem 19. French-Open-Start. In seinem insgesamt 116. Match verlor der Dominator von Roland Garros erst zum vierten Mal bei seinem Lieblingsturnier, das er fast zwei Jahrzehnte geprägt hat wie kein Zweiter.
Das «Popcorn»-Match, wie die Veranstalter den Showdown angekündigt hatten, wollten sich auch die Weltranglistenersten Novak Djokovic und Iga Swiatek nicht entgehen zu lassen. Der Serbe und die Polin, die sogar Erinnerungsfotos machte, sahen auf der Tribüne genau wie die anderen Zuschauer einen intensiven Schlagabtausch.
Nadal startete nervös. Leichter Fehler beim Stopp, ein Doppelfehler und eine Rückhand ins Netz - sofort kassierte er das Break zum 0:1. Nach dem ersten Spielgewinn zum 1:2 wurde der Publikumsliebling frenetisch gefeiert, doch Zverev blieb davon unbeeindruckt und nahm Nadal ein zweites Mal den Aufschlag zum ersten Satzgewinn ab.
Nadal heizt die Fans an
Nachdem Nadal im zweiten Satz zwei Breakbälle erfolgreich abgewehrt und zum 2:2 ausgeglichen hatte, heizte Nadal das Publikum an. Er sprang in die Luft und animierte die Fans zu noch mehr Stimmung. Auch Ehefrau Xisca Perelló fieberte lautstark mit. Es erzielte die erhoffte Wirkung: Euphorisiert breakte Nadal im Anschluss seinen deutschen Widersacher. Als er beim Stand von 5:4 zum Satzgewinn aufschlug, brillierte jedoch wieder Zverev, der auch im Tiebreak nervenstärker war.
«Spiele gegen den Spieler und nicht gegen den Mythos!», hatte Tennis-Ikone Boris Becker der deutschen Nummer eins vor dem Match geraten. Zverev blieb zumindest cool, als Nadal im dritten Satz ein Break zum 2:0 holte. Am Ende machte sich die bessere Fitness beim Deutschen deutlich bemerkbar. Mit einem sensationellen Rückhand-Passierball holte er sich das vorentscheidende Break zum 4:3.
Möglich wurde das frühe Top-Duell, weil Nadal - aktuell nur die Nummer 275 der Welt - aufgrund seiner langen Ausfallzeit wegen diverser Verletzungen erstmals ungesetzt in sein Lieblingsturnier ging und dem Weltranglisten-Vierten Zverev zugelost wurde. Das entspräche zwar den Regeln, sei aber «verrückt», wetterte der frühere Tennisstar John McEnroe. Einmal dürfte Nadal noch nach Roland Garros zurückkommen, wenn hier in der ersten Olympia-Woche das Tennisturnier der Sommerspiele von Paris stattfindet. Doch ein 20. Start bei den French Open scheint nahezu ausgeschlossen.
Wie Zverev schaffte auch Grand-Slam-Debütant Henri Squire (23) den Sprung in die zweite Runde. Der Qualifikant aus Düsseldorf gewann sein wildes Erstrunden-Duell mit dem Australier Max Purcell nach 3:21 Stunden Spielzeit und zwei längeren Regenpausen mit 6:2, 6:2, 3:6, 4:6, 7:6 (12:10). Der Weltranglisten-221. trifft in der nächsten Runde auf den an Nummer 21 gesetzten Kanadier Felix Auger-Aliassime.