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«Gut in die Länge gezogen»: Geschkes letzter Tanz

Seit mehr als einem Jahrzehnt zählt Simon Geschke zu den prägendsten deutschen Radprofis. Am Tag der Deutschen Einheit bestreitet er sein letztes Rennen - und bereut nur eine Sache.
Simon Geschke
Radsport-WM in Zürich
Simon Geschke
Simon Geschke

Wehmut kommt bei Simon Geschke keinesfalls auf. «Ich würde jetzt nicht sagen, dass es zu früh ist aufzuhören», sagt der 38-Jährige. Am Sonntag war der Radprofi zum letzten Mal bei einer WM dabei, am Donnerstag fällt der finale Vorhang seiner aktiven Karriere: Beim Münsterland Giro verabschiedet er sich am Tag der Deutschen Einheit von den Fans - wie zuvor schon André Greipel und Erik Zabel.

Wie gefährlich sein Sport ist, wurde ihm bei der WM in Zürich vor Augen geführt. Der Tod der erst 18 Jahre alten Muriel Furrer hing wie eine schwarze Wolke über den Rennen. «Die Gefahr werde ich auf jeden Fall nicht vermissen», sagt Geschke. Im Rennen könne er das immer ganz gut ausblenden, aber es ist schön, wenn er das Risiko nicht mehr habe.

Höhepunkt Pra Loup

Es ist schlicht der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören. «Ich habe meine Karriere, glaube ich, ganz gut in die Länge gezogen», sagt Geschke und grinst. Er sei unheimlich froh, Mitte November nicht mehr mit dem Training anfangen zu müssen. «Das ist schon eine riesige Last, die mir da von den Schultern fällt. Über die Jahre geht natürlich ein wenig die Leidenschaft verloren.»

In Geschke geht nicht irgendwer. Er ist Teil der Generation mit Marcel Kittel, Tony Martin, Greipel und dem noch aktiven John Degenkolb, die noch regelmäßig für große Siege sorgte. Geschkes Highlight: Der Etappenerfolg bei der Tour de France. Bergankunft in Pra Loup. 22. Juli 2015. Geschke siegt solo, das Trikot weit offen, ein Urschrei beim Überqueren der Ziellinie. «Das sticht heraus. Hätte ich vor zwei Jahren das Bergtrikot gewonnen, wäre das auf einem Level gewesen», sagt der Wahl-Freiburger.

Populär im Bergtrikot

2022 kämpfte sich Geschke noch einmal in die Herzen der Radsport-Fans. Neun Tage trug er das berühmte weiße Trikot mit den roten Punkten - bester Kletterer der Tour de France. Allein, der Lohn blieb aus. Der spätere Gesamtsieger Jonas Vingegaard sammelte am Ende sieben Punkte mehr.

Immerhin durfte Geschke in dem Trikot stellvertretend auf die Schlussetappe nach Paris gehen, da der Däne das Gelbe Trikot trug. Das begehrte Jersey gab es nicht, dafür einen gehörigen Popularitätsschub auf seine alten Profi-Tage. 

Seine Abschiedssaison ging Geschke mit einem Plan an. Natürlich ist Profi-Radsport meistens Quälerei, doch der Genuss sollte auf keinen Fall zu kurz kommen. «Ich wollte noch mal alle meine Lieblingsrennen fahren», berichtet Geschke. Gesagt, getan. Beim Giro d'Italia wird er unverhofft zum Klassement-Fahrer, holt mit Platz 14 sein bestes Ergebnis bei einer der drei großen Landesrundfahrten.

Genuss in Münster

Beim Abschied in Münster steht der Spaß an erster Stelle. «Deshalb hoffe ich auf gutes Wetter», sagt Geschke. Das Rennen wird traditionell im Sprint entschieden und hält sich vom Anspruch her in Grenzen. Da kann er einfach mitrollen. Seine Frau Sophie moderiert im VIP-Zelt, auch für sie ist es vorerst der letzte Job. Im November erwartet das Paar sein erstes Kind. «Das neue Projekt», wie es Geschke scherzhaft nennt.

Der Nachwuchs dürfte dafür sorgen, dass auch ohne Fahrrad keine Langeweile aufkommt. Bei der beruflichen Orientierung will er sich auf jeden Fall Zeit lassen. «Ich muss nicht am 1. Januar gleich einen neuen Job haben», betont Geschke. «Ich will wirklich zur Ruhe kommen und ein halbes Jahr, ein ganzes Jahr gar nichts machen - bis auf ein paar Kleinigkeiten. Dann sehen wir weiter.»

Nur eine Sache fehlt

Der Sport wird Begleiter bleiben - aber ein anderer. «Ich werde nicht bei drei Grad und Nebel auf dem Rennrad durch die Gegend fahren», sagt Geschke. Vielleicht wird es das Mountainbike oder einfach eine Laufrunde. 

Geschke, das spürt man in jedem Gespräch mit ihm, ist mit sich im Reinen. Nur eine Sache hätte er gern einmal erlebt. «Ich wäre gern mal deutscher Meister gewesen», sagt er. Geklappt hat es nie, aber dennoch wird er ohne Wehmut gehen.

© dpa ⁄ Tom Bachmann, dpa
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