Die deutsche Wirtschaft müht sich schrittweise aus der Flaute. Große Sprünge beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind aber auch nach dem überraschenden, leichten Wachstum zu Jahresbeginn nicht zu erwarten. Das zeigt der aktuelle Wirtschaftsausblick der OECD, der am Donnerstag in Paris veröffentlicht wurde. Für 2024 rechnen die Konjunkturexperten der Industriestaatenorganisation nun nur noch mit einem Plus von 0,2 Prozent. Eine neue Analyse des Beratungsunternehmens EY zeigt derweil, dass der Standort Deutschland bei ausländischen Investoren weiter an Attraktivität verliert.
Mit der neuen Prognose korrigierte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Erwartung für das Wirtschaftswachstum in Deutschland erneut nach unten. Bereits im Februar hatte sie ihre Wachstumsprognose gesenkt. Damals ging sie statt der noch im November angenommenen 0,6 Prozent von 0,3 Prozent Zuwachs aus.
Wachstum dürfte gering ausfallen
Damit zeigt sich die OECD mittlerweile etwas pessimistischer als die Bundesregierung. Letztere hob jüngst ihre Wachstumserwartungen für das Gesamtjahr 2024 leicht von 0,2 Prozent auf 0,3 Prozent an. Für das kommende Jahr rechnet die OECD aber mit mehr Schwung für Europas größte Volkswirtschaft: Dann wird ein Konjunkturplus von 1,1 Prozent erwartet. Dennoch hinkt Deutschland hinterher: Weltweit erwartet die OECD ein Wachstum von 3,1 Prozent in diesem und 3,2 Prozent im kommenden Jahr, im Euroraum einen Zuwachs von 0,7 Prozent beziehungsweise 1,5 Prozent.
Als Wachstumshemmnis sieht die OECD vor allem Unsicherheit mit Blick auf geplante steuerliche Anreize für «grüne» Investitionen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Etat 2021 in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt hatte. Dies belaste das Vertrauen von Investoren. Auch hohe Zinssätze hätten Investitionen unter andrem auf dem Wohnungsmarkt gedrückt.
Ausländische Investitionen in Deutschland sinken weiter
Unterdessen ergab eine Analyse der Beratungsfirma EY, dass Investoren aus dem Ausland ihr Engagement in Deutschland erneut zurückgefahren haben. Vergangenes Jahr kündigten ausländische Unternehmen 733 Investitionsprojekte hierzulande an - zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Das sei der niedrigste Stand seit 2013 und der sechste Rückgang in Folge.
Im europäischen Vergleich belegt Deutschland damit zwar weiterhin den dritten Platz - der Abstand zu Primus Frankreich vergrößerte sich aber erneut. EY zählte dort zwar fünf Prozent weniger Vorhaben, aber immer noch 1194. Großbritannien folgt mit 985 Projekten (plus sechs Prozent). Die höchste Zahl ausländischer Investitionen in Deutschland hatte EY mit 1124 Vorhaben im Jahr 2017 verzeichnet. Vor der Corona-Pandemie 2019 lag die Zahl bei 971. EY führt die Studie seit 2006 durch. Angaben zum Investitionsvolumen wurden nicht gemacht.
EY-Chef: «Deutschland wird abgehängt»
Der Vorsitzende der EY-Geschäftsführung, Henrik Ahlers, hält den Rückgang für eine beunruhigende Entwicklung: «Das ist ein Alarmsignal. Deutschland wird abgehängt, andere europäische Standorte entwickeln sich viel dynamischer», mahnte er. Seit 2017 sei die Zahl der Investitionsprojekte in Deutschland um 35 Prozent gesunken, während Frankreich um 20 Prozent zulegte. «Frankreich ist der große Brexit-Gewinner. Deutschland hingegen hat sogar noch mehr Investitionen verloren als Großbritannien.»
Gründe für Deutschlands schwaches Abschneiden seien die hohe Steuerbelastung, hohe Arbeitskosten, teure Energie sowie die Bürokratie im Land. «Das Ergebnis: Die Investitionen sinken, die Stimmung bei Verbrauchern wie Unternehmen ist im Keller, die Konjunktur entwickelt sich so schwach wie in keinem anderen Industrieland».
US-Investoren fahren Engagement zurück
US-Unternehmen waren vergangenes Jahr zwar immer noch die wichtigsten Investoren in Deutschland - die Zahl der Projekte schrumpfte aber um mehr als ein Fünftel. US-Investoren hätten den Standort zwar nicht abgeschrieben, das Vertrauen sei aber erschüttert. Top-Prioritäten sollte sein, dieses wieder herzustellen. Eine schnelle Erholung erwartete er aber nicht: «Die Probleme in Deutschland liegen tief und sind auch struktureller Art. Eine Trendwende wird daher nicht von heute auf morgen gelingen», sagte er. Notwendig seien eine Steuerreform und Bürokratieabbau. Ähnliches empfahl auch die OECD.