Knapp 15 Jahre sind vergangen, seit eine Air-France-Maschine auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris mehr als Tausend Meter in die Tiefe stürzte und 228 Menschen im Atlantik in den Tod riss. Doch die juristische Aufarbeitung des Unglücks, das sich am Samstag jährt, ist noch immer nicht abgeschlossen.
Für Flugzeugbauer Airbus und Airline Air France geht es in Paris wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung erneut vor Gericht. Die Angehörigen schwanken angesichts des jahrelangen Kampfs für Aufklärung zwischen Hoffnung und Zermürbung.
Die Air-France-Maschine des Flugs AF 447 war am 1. Juni 2009 auf dem Weg von Rio in die französische Hauptstadt in eine Unwetterfront geraten und von den Radarschirmen verschwunden. Der Airbus vom Typ A330 stürzte in den Atlantik. 228 Menschen starben, darunter auch 28 Deutsche. Lange war die Ursache unklar. Erst im Mai 2011 wurden die letzten Leichen und der Flugdatenschreiber aus etwa 4000 Metern Tiefe geborgen.
«Perfide Verschleppungspolitik»
Eines der Opfer war die 31-jährige Ines. Wenn ihr Vater Bernd Gans aus dem bayerischen Vaterstetten auf die Aufarbeitung des Todesflugs zurückschaut, spricht er von «einer perfiden Verschleppungspolitik», etwa bei der Suche nach dem Wrack und dem juristischen Hin und Her. Dass ein Berufungsgericht Airbus und Air France 2021 schließlich wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung auf die Anklagebank schickte, sei für die deutschen und französischen Hinterbliebenen eine Genugtuung gewesen, schildert der 83-jährige Vorsitzende der deutschen Hinterbliebenenvereinigung HIOP AF447.
Doch die beiden Konzerne wurden vor gut einem Jahr freigesprochen. Sie hätten zwar nachlässig oder unvorsichtig gehandelt, doch weil nicht eindeutig festgestellt werden könne, dass die Verfehlungen zu dem Absturz führten, hätten diese strafrechtlich keine Relevanz, urteilte das Gericht. Gans nennt die Begründung willkürlich. Von der französischen Hinterbliebenenorganisation Entraide et Solidarté AF447 hieß es, das Urteil lasse sie in einer Schockstarre zurück.
Der Prozess drehte sich um die Frage, ob Air France seine Piloten besser hätte ausbilden und auf Extremsituationen vorbereiten können. Airbus wurde in der Anklage vorgehalten, die Folgen eines Ausfalls der für die Geschwindigkeitsmessung zuständigen Pitot-Sonden unterschätzt zu haben. Die Sonden waren bei dem Flug eingefroren. Ein Expertengutachten hatte 2012 geurteilt, die Crew sei danach mit der eigentlich beherrschbaren Lage überfordert gewesen.
Fluggesellschaften weisen Verantwortung zurück
Airbus und Air France hatten die Verantwortung für den Absturz zurückgewiesen. Im Urteil hieß es trotz des Freispruchs, Vorfälle mit den Sonden seien von Airbus nicht ausreichend nachverfolgt worden, Informationen seien zurückgehalten worden. Air France hätte seine Piloten besser auf Probleme mit den Sonden hinweisen können.
Die Staatsanwaltschaft ging zur Erleichterung der Angehörigen, von denen rund 500 als Nebenkläger auftraten, gegen das Urteil in Berufung. Einen Termin für das Berufungsverfahren gibt es bisher jedoch nicht, wie es aus Justizkreisen hieß.
Danièle Lamy von der französischen Hinterbliebenenorganisation steht dem Prozess durchaus skeptisch gegenüber. «Sollen wir Familien der Opfer die Qualen eines vergeblichen und fruchtlosen Versuchs erneut erleben, noch einmal Monate der juristischen Unruhen erleiden?» Für die Opfer werde man nicht resignieren, damit die Verfehlungen anerkannt würden und ein Schuldspruch gesprochen werde.
Auch Gans hofft darauf, dass das Verfahren diesmal anders ausgeht - besonders mit Blick auf die zwei Abstürze von Boeingmaschinen des Typs 737-Max in den Jahren 2018 und 2019, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen. «Das ist dort eine ähnliche Situation gewesen, aber man hat Konsequenzen gezogen», meint Gans. Die Flugzeuge wurden am Boden gehalten.
Bei den schon vor dem Todesflug Rio-Paris gemeldeten Problemen mit den Sonden habe die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA die Sicherheitsgefahr nicht hoch genug eingestuft und kein Startverbot verhängt. Gans würde in Berufung daher auch den damaligen Chef der EASA, Patrick Goudou, gerne auf der Anklagebank sehen.
Geldstrafen bis zu 225.000 Euro
Air France und Airbus drohen in dem Verfahren Geldstrafen bis zu 225.000 Euro. Doch den Hinterbliebenen geht es nicht um die Buße für die Konzerne. Man möchte einen Beitrag für mehr Sicherheit im Luftverkehr leisten, sagt Gans. «Und ich würde sagen, es ist tatsächlich eine andere Situation geworden.»
Air France habe die Ausbildung verbessert. Airbus und Thales würden sich wohl genauer überlegen, was sie in den Verkehr bringen. Und: «So einfach die Dinger unter den Teppich zu kehren, das geht nicht mehr», sagt Gans. Es ginge neben dem Erinnern um das Weiterdenken, um den Luftverkehr. «Insofern kann man das wirklich nicht hoch genug einschätzen, dass auch die Rechtsprechung sich der Probleme annimmt.»
Den Jahrestag des Absturzes werden Gans und seine Frau abseits des juristischen Gerangels um die Verantwortung für den Tod ihrer Tochter und 227 anderer Menschen in einer Kirche verbringen. Nach dem Unglück haben sie und Mittrauernde dort Orgelpfeifen auf den Namen ihrer Tochter Ines gestiftet. «Wir fühlen uns mit unserer Tochter dort sehr verbunden», sagt Gans.