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Nach Landtagschaos haben Verfassungsrichter das Wort

Nach einer Landtagssitzung, die zum Polittheater geriet, soll das Thüringer Verfassungsgericht den Weg für einen zweiten Anlauf ebnen. Es geht um die Regeln für den AfD-Alterspräsidenten.
Konstituierende Sitzung des Landtags in Thüringen
Bei der ersten Sitzung des Thüringer Landtags kam es zum Eklat: Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, sieht die Rechte der Abgeordneten beschnitten und kündigte den Gang zum Verfassungsgerichtshof an. © Martin Schutt/dpa

Nach einer turbulenten Sitzung des Thüringer Landtags werfen Experten dem AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler Rechtsbruch und die Missachtung von demokratischen Prinzipien vor. Die CDU hält ihm in einem Antrag an das Landesverfassungsgericht vor, Rechte ihrer Fraktion, einzelner Abgeordneter und des Parlaments verletzt zu haben. Sie beantragte eine einstweilige Verfügung der Verfassungsrichter, um dem Landtag am Samstag einen zweiten Ablauf bei der Herstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu ermöglichen. Eine Entscheidung des Gerichts wird für den Abend erwartet. 

Weiter Tauziehen um Präsidentenamt 

Dabei geht es auch um das Vorschlagsrecht für das Amt des Landtagspräsidenten, das zwischen der AfD und den anderen Fraktionen heftig umstritten ist. Die CDU will erreichen, dass Treutler einen Antrag aufruft und abstimmen lässt, wonach das Vorschlagsrecht auf alle Fraktionen erweitert wird. Bisher liegt es bei der stärksten Fraktion, die in Thüringen erstmals in einem Landesparlament von der AfD gestellt wird. CDU, BSW, Linke und SPD haben bereits angekündigt, dass sie keinen AfD-Kandidaten in das zweithöchste Staatsamt in Thüringen wählen werden. Die AfD mit ihrem Rechtsaußen Björn Höcke ist vom Landesverfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft und wird beobachtet. Einen der vier Landtagsvizeposten soll aber auch die AfD beanspruchenden können, machte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, deutlich.

«Tiefpunkt des Parlamentarismus» 

Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sprach mit Blick auf die Landtagssitzung am Donnerstag in Erfurt von einem «Tiefpunkt in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus». «Die AfD hat auf eine zutiefst beispiellose Art und Weise die Prinzipien unserer parlamentarischen Demokratie missachtet», sagte Brodocz im Deutschlandfunk. Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner empfand die Sitzung als ein «inszeniertes Schauspiel». 

Er warf der AfD vor, die Sitzung instrumentalisiert zu haben, «um ein bisschen die Demokratie, die Geschäftsordnung und vielleicht auch die Thüringer Verfassung vorzuführen und die Grenzen auszutesten». Wo diese Grenzen liegen, soll nun der Verfassungsgerichtshof in Weimar festsetzen. 

Nach Ansicht von Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zeigt die Krise im Landtag, dass die AfD keine Partei ist, die Verantwortung tragen sollte. Sie sagte am Rande einer Bundesratssitzung in Berlin: «Jeder Bürger, jede Bürgerin muss wissen, das Chaos, was die AfD anrichtet, diese Willkür, wird herrschen in jedem Bereich unseres Lebens, ob im Bereich der Gesundheit, ob im Bereich der Bildung und der Wirtschaft, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt.» Das, was am Donnerstag im Landtag von Thüringen geschehen sei, «ist nur der Anfang», sagte Schwesig. Alle, die meinten, die AfD solle doch einmal in Verantwortung kommen, dann werde sie sich schon von allein entzaubern, hätten dort sehen können, wohin diese angebliche Entzauberung führen würde: ins Chaos.

Was war geschehen? 

Normalerweise ist eine konstituierende Sitzung mit der Wahl des Landtagspräsidenten Formsache und geht schnell über die Bühne. In Erfurt geriet die Sitzung jedoch zum Polit-Theater mit teils chaotischen Situationen und endete in einer Krise. Im Kern ging es um die Wahl des Landtagspräsidenten. Als stärkste Fraktion hat die AfD das Vorschlagsrecht, sie hat aber keinen Anspruch darauf, dass ihre Kandidatin auch gewählt wird. CDU und BSW wollen vor der Wahl die Geschäftsordnung ändern, damit gleich von Anfang an auch andere Fraktionen Kandidaten vorschlagen können.

Hauptakteur war der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler. In der Sitzung vertrat der 73-Jährige die Rechtsauffassung der AfD-Fraktion, ignorierte Anträge der Abgeordneten, versuchte ihnen das Wort zu entziehen und ließ mehrfach Wortmeldungen nicht zu. Man habe sehen können, wie eine Minderheit versucht habe, der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen, sagte Brodocz. 

«Ich würde vor allem ein Verstoß gegen das freie Mandat der Abgeordneten sehen. Weil dieses Mandat auch das Recht beinhaltet, am parlamentarischen Prozess teilnehmen zu können, Anträge stellen zu können, Reden halten zu können», sagte der Verfassungsrechtler Brenner.

AfD hat andere Rechtsposition 

Die Weimarer Verfassungsrichter gaben den beiden Streitparteien bis Freitagmittag Zeit für Stellungnahmen. Die AfD argumentiert, dass kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf bestehe, «die Regeln für Wahlen vorher im eigenen Sinne zu ändern». Vielmehr sei die Tagesordnung durch die Geschäftsordnung des Landtags vorgegeben. Dort heißt es: «Nach Feststellung der Beschlussfähigkeit wählt der Landtag die Präsidentin beziehungsweise den Präsidenten.» Nach Ansicht der AfD sei eine davon abweichende Tagesordnung «schlicht gesetzeswidrig und unbeachtlich».

Die AfD moniert in ihrer Stellungnahme, dem Alterspräsidenten sei immer wieder rechtswidrig ins Wort gefallen. Der Landtagsverwaltung wirft sie vor, sie habe sich gegenüber Treutler «während der Sitzung durchgehend feindselig» verhalten und seine Anweisungen nicht befolgt. Zudem hätten die Abgeordneten die «Abarbeitung der vorläufigen Tagesordnung und somit auch die Erfüllung des von ihnen selbst gestellten Geschäftsordnungsantrages» vereitelt. Treutler habe sich nicht geweigert, die Beschlussfähigkeit festzustellen.

© dpa ⁄ Simone Rothe und Stefan Hantschmann, dpa
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