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Kanzlerkandidatur: Habeck wirbt um seine Wähler

Alle wussten es, jetzt sagt er es selbst: Robert Habeck will Kanzlerkandidat für die Grünen werden. Dafür veröffentlicht er ein Bewerbungsvideo. Ein Möbelstück soll eine besondere Rolle spielen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
Robert Habeck
Robert Habeck
Habeck und Baerbock

Mit einem Appell zur Solidarität und klarer Kante gegen den Populismus will Robert Habeck die Grünen als Kanzlerkandidat in den Bundestagswahlkampf führen. «Ich bewerbe mich als Kandidat von den Grünen – für die Menschen in Deutschland», sagt der Vizekanzler und Wirtschaftsminister in einem in sozialen Medien verbreiteten Video - nur zwei Tage nach dem Bruch der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Auch in einer E-Mail an seine Parteifreunde kündigte Habeck die Kandidatur an.

«Ich bin bereit, meine Erfahrung, meine Kraft und meine Verantwortung anzubieten. Wenn Sie wollen, auch als Kanzler. Aber das ist nicht meine, das ist Ihre Entscheidung. Nur Sie können das entscheiden», sagt Habeck, der nach eigenen Angaben in dem Film am Küchentisch von Freunden sitzt.

Die Kür zum Spitzenmann der Grünen ist für den Bundesparteitag der Grünen geplant, der am Freitag kommender Woche in Wiesbaden beginnt. Dort wird Habeck um die Unterstützung der Delegierten werben, um mit Rückenwind in den Wahlkampf zu starten. 

Es gab Andeutungen

Seit dem Vortag ist Habeck wieder als Parteipolitiker in sozialen Medien präsent, wo er bereits Andeutungen zum Zeitpunkt seiner Kandidatur platzierte. Zuletzt trat er dort als Bundeswirtschaftsminister auf, mit Konten, die von Mitarbeitern des Hauses gepflegt wurden. Für den Wahlkampf für die Grünen darf er diese staatlichen Ressourcen nicht nutzen. In einem Video summte er die Melodie des Grönemeyer-Hits «Zeit, dass sich was dreht». Der Gebrauch des Lieds wurde den Grünen aber prompt vom Urheber verboten - wie zuvor schon der CDU.

In seinem Bewerbungsvideo warnt Habeck vor dem «Spaltpilz des Populismus». «Wir dürfen nicht davon ausgehen, unsere liberale Demokratie sei auf ewig garantiert. Wir müssen um und für sie kämpfen. Und dieser Kampf ist nicht irgendwann, er ist jetzt.» Er wolle für eine Gesellschaft einstehen, die Tatkraft und Solidarität verbinde. 

Habeck hofft auf die Mitte

Habeck steht für einen Realo-Kurs und hofft, Wählerinnen und Wähler aus der Mitte zu gewinnen. Als Vizekanzler hat er Kompromisse mit ausgehandelt, die dem linken Flügel seiner Partei übel aufstießen – so zum Beispiel Verschärfungen in der Migrationspolitik. Mit der Abgrenzung zur eigenen Partei, mit der er immer wieder kokettierte, kann es Habeck als Kandidat aber nicht zu weit treiben – ihr Kreuzchen machen Wähler schließlich immer noch bei einer Partei. 

Auch seine internen Kritiker wissen, dass Habeck eines der Zugpferde der Partei ist, wenn auch nach mehreren Jahren als Minister (Stichwort Heizungsgesetz) ein einigermaßen lädiertes. «Ich habe Fehler gemacht. Ich lerne daraus jeden Tag, wie wir alle lernen», verspricht Habeck nun. 

Im Rededuell mit CDU-Chef Friedrich Merz und SPD-Spitzenmann Olaf Scholz (SPD) dürfte er mit Charisma punkten. Allerdings birgt Habecks Liebe zu spontanen Rede Risiken: Er trifft den falschen Ton oder vertut sich mit Fakten. 

Tandem Habeck-Baerbock soll in den Wahlkampf ziehen

Die Personalie war schon lange ein offenes Geheimnis. Im Juli hatte Habecks einzige ernstzunehmende Konkurrentin, Außenministerin Annalena Baerbock, erklärt, dass sie keine Kanzlerkandidatur verfolgen wolle. 

Das Verhältnis zwischen Baerbock und Habeck ist nicht unbelastet, nachdem sie sich 2021 als Kanzlerkandidatin der Grünen gegen ihn durchsetzte. Im nun anstehenden neuen Bundestagswahlkampf wollen beide aber an einem Strang ziehen. 

Schwierige Ausgangslage und Prinzip Hoffnung

Die Chancen, tatsächlich ins Kanzleramt einzuziehen, sind für Habeck derzeit gering. In Umfragen liegt seine Partei aktuell bei schlappen 9 bis 11 Prozent. Grüne verweisen an dieser Stelle gern auf die nur um ein paar Prozentpunkte besseren Umfragewerte der SPD, die ja auch einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schickt.

Eine Reaktion seines ehemaligen Regierungspartners, FDP-Chef Christian Lindner folgte prompt: «Schon verrückt. Keine eigene Mehrheit, aber jetzt zwei Kanzlerkandidaten in der Regierung», schrieb der von Kanzler Scholz entlassene Finanzminister auf der Plattform X.

Auch Unionskanzlerkandidat Merz reagierte bereits spöttisch. «Die Selbsterklärung zum Kanzlerkandidaten bei neun Prozent Wählerzustimmung hat ja durchaus einen humorvollen Teil», sagte der Unionsfraktions- und CDU-Parteichef. Die Grünen müssten das «dann mit sich und ihren Wählerinnen und Wählern ausmachen», fügte er hinzu. 

Habeck sagt im Video: «Natürlich, ich kenne die Umfragen. Ich weiß, dass die Ampel-Regierung gescheitert ist. Ich weiß, dass Vertrauen kaputtgegangen ist.» Und: «Ich weiß, einen Führungsanspruch muss man sich erarbeiten. Ich will ihn mir erarbeiten.»

Lob kam von seiner Parteikollegin Franziska Brantner, die parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium ist und als aussichtsreiche Bewerberin für den Parteivorsitz gilt. In Zeiten großer Unsicherheiten gebe er «Halt und Orientierung, ehrlich und mit klarem Kompass. Da wo andere polarisieren und spalten, auf politische Unterschiede pochen, schaut er auf Gemeinsamkeiten und führt zusammen». Brantner ist eine enge Vertraute Habecks.

Habeck gibt Groko die Schuld an Reformstau

Wie einen Klotz am Bein schleppt Habeck die schlechte Wirtschaftslage in Deutschland mit. Er selbst erklärt die Situation unter anderem mit dem Verlust russischer Energieimporte infolge des Angriffskriegs gegen die Ukraine und verschleppten Reformen der Vorgängerregierungen. «Wir dürfen uns nicht einlullen lassen, wie in den Regierungsjahren von CDU/CSU und SPD, wo faktisch alles liegen geblieben ist und nichts gemacht wurde. All das müssen wir jetzt mühsam nachholen», sagt Habeck in seinem Video, kurz nachdem er die Notwendigkeit von Investitionen in Infrastruktur und Bildung betont hat und die Wichtigkeit von Klimaschutz. Detaillierte Forderungen oder Vorschläge präsentiert er nicht. 

Wie er sich den Bundestagswahlkampf vorstellt, das skizzierte Habeck Ende August bei einem Wahlkampfauftritt in Sachsen, wo seine Partei wenige Tage später herbe Verluste einstecken musste und mit Ach und Krach den Wiedereinzug in den Landtag schaffte. Habeck glaubt, an die Möglichkeit eines Stimmungsumschwungs zum Besseren. «Und es muss nur irgendein Kristallisationspunkt kommen, wo wir uns selbst beweisen, dass wir viel, viel besser in Deutschland sind, als die Stimmungslage und die Umfragen es im Moment zeigen. Wenn das passiert, dann kann wirklich alles passieren», sagte er damals. 

Einladung an den Küchentisch

Erst einmal aber will Habeck nach eigenem Bekunden zuhören, wie er im Video sagt. «Was Sie umtreibt in Ihrem Alltag, worauf es Ihnen ankommt. Vielleicht komme ich auf Ideen, die ich sonst nie hätte.» Vielleicht könne man am Küchentisch reden. «Ich fände es jedenfalls schön, Sie laden mich ein, und wann immer die Zeit es zulässt, baue ich Küchentisch-Gespräche in meinen Alltag ein, bevor der Wahlkampf so richtig los geht.»

© dpa ⁄ Martina Herzog, dpa
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