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Israel weist Völkermord-Vorwurf zurück

Israel will im Gazastreifen die Terrororganisation Hamas entmachten und ihr Bollwerk in Rafah zerschlagen. Kommt der Armeeeinsatz einem Völkermord gleich? Darüber wird vor einem UN-Gericht gestritten.
Internationaler Gerichtshof
Am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag muss sich Israel für seinen umstrittenen Militäreinsatz in Rafah rechtfertigen. Das höchste UN-Gericht verhandelt über einen Antrag Südafrikas. © Peter Dejong/AP/dpa

Israel hat Vorwürfe des Völkermords im Gazastreifen vor dem Internationalen Gerichtshof energisch zurückgewiesen und seinen Militäreinsatz in Rafah als Selbstverteidigung gegen die Terrororganisation Hamas gerechtfertigt. Die von Südafrika vorgebrachten Vorwürfe seien eine «Verdrehung der Wirklichkeit», sagte der Rechtsvertreter Israels am Freitag vor dem höchsten UN-Gericht in Den Haag. 

Für die dringend benötigten Hilfslieferungen in den Gazastreifen gibt es nun einen neuen Weg: Erstmals fuhren Lastwagen mit humanitären Gütern über eine provisorische Anlegestelle des US-Militärs in das zerbombte Küstengebiet. Derweil gab die israelische Armee bekannt, die Leiche der Deutsch-Israelin Shani Louk im Gazastreifen gefunden zu haben. Louk war am 7. Oktober beim Terrorangriff der Hamas in den Küstenstreifen verschleppt und später für tot erklärt worden.

Rafah der «letzte Zufluchtsort»

Der südafrikanische Eilantrag vor dem UN-Gericht wendet sich speziell gegen den seit fast zwei Wochen laufenden israelischen Militäreinsatz in Rafah. Die Stadt im Süden des Küstenstreifens sei der «letzte Zufluchtsort für etwa 1,5 Millionen Menschen», erklärten Vertreter Südafrikas. Ihr Leben sei in Gefahr. Die Richter müssten daher den Abzug Israels aus dem Gazastreifen anordnen und den «andauernden Völkermord» an der palästinensischen Bevölkerung stoppen.

Die israelischen Vertreter widersprachen vehement und sagten, Rafah sei ein «militärisches Bollwerk der Hamas», die Israel mit Raketen beschieße. Auch halte die Hamas noch immer zahlreiche Geiseln fest, die am 7. Oktober bei einem Überfall aus Israel verschleppt wurden. Israel sorge zudem für humanitäre Hilfe und tue alles zum Schutz der Zivilbevölkerung. Am Ende der Anhörung wurde eine Rechtsvertreterin Israels durch einen Zwischenruf unterbrochen. «Lügner», rief eine Frau. Sie wurde von Sicherheitsmitarbeitern aus dem Saal des Friedenspalasts geführt. Wann das Gericht über den Eilantrag entscheiden wird, steht nicht fest. Das Hauptverfahren zum Völkermordvorwurf wird sich über Jahre hinziehen.

Neue Anlegestelle - 90 Lkw-Ladungen Hilfsgüter pro Tag

Erst am Donnerstag hatte das US-Militär einen schwimmenden Pier an der Küste verankert, über den nun Lastwagen von Schiffen über den Strand in den Gazastreifen fahren können. Hintergrund ist, dass es im Gazastreifen bislang keinen Hafen gibt, der tief genug für größere Frachtschiffe ist. Nach Pentagon-Angaben sollen über die provisorische Anlegestelle zunächst etwa 90 Lkw-Ladungen pro Tag in den Gazastreifen gelangen. Zu einem späteren Zeitpunkt erwarte man bis zu 150 Lkw-Ladungen täglich. 

Geplant ist, dass Frachter Hilfslieferungen von Zypern aus zunächst zu einer schwimmenden Plattform einige Kilometer vor der Küste bringen. Etwas kleinere Schiffe legen dann mit den beladenen Lkw an dem Pier an. Dort werden die Hilfslieferungen von Hilfsorganisationen entgegengenommen und verteilt. Hunderte Tonnen Hilfsgüter stünden auf Schiffen im östlichen Mittelmeer zur Auslieferung bereit, sagte Admiral Brad Cooper vom US-Zentralkommando. 

Die Vereinten Nationen erklärten sich bereit, die Koordination von Hilfslieferungen zu übernehmen. «Nach monatelangen Gesprächen mit allen relevanten Behörden haben die Vereinten Nationen zugestimmt, beim Empfang und bei der Organisation der Auslieferung von Hilfsgütern vom Schwimmdock nach Gaza zu helfen», sagte Sprecher Farhan Haq am Freitag in New York. Verantwortlich ist dabei das Welternährungsprogramm WFP, das «die Registrierung, die Überwachung der Verladung und des Transfers der Waren» übernehme.

Heftige Kämpfe auch im Norden des Gazastreifens

Die Verteilung von Lebensmitteln ist schwierig, weil vielerorts gekämpft wird. Die israelische Armee gab an, etwa ihre Angriffe gegen die Hamas und andere bewaffnete Gruppen im Norden des Gazastreifens verstärkt zu haben. Am frühen Morgen bombardierten Kampfflugzeuge und andere Fluggeräte Waffenlager der Hamas in dem Flüchtlingsviertel Dschabalia, wie die Armee mitteilte. In der Folge seien israelische Truppen ins Zentrum vorgedrungen, wo sie sich Kämpfe mit Terroristen geliefert hätten. In den letzten Tagen seien rund 60 Terroristen getötet und von ihnen genutzte Infrastruktur zerstört worden. Ein israelischer Soldat erlitt nach Armeeangaben schwere Verletzungen. 

Bewohner des Flüchtlingslagers beschrieben den israelischen Angriff als ungewöhnlich heftig. Er habe sich auch gegen Wohnhäuser und eine mit Flüchtlingen überfüllte Schule gerichtet. Den Darstellungen zufolge, die sich nicht unabhängig überprüfen ließen, würden die Toten auf die Straße geworfen. Auch setzte das Militär seinen Einsatz in Rafah fort. Im Osten der Stadt zerstörten die Truppen eine Raketenabschussstellung der Islamisten, wie die Armee mitteilte. 

Baerbock: «Brauchen zunächst humanitäre Feuerpause»

Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich zurückhaltend zur Forderung der Arabischen Liga nach einer UN-Schutztruppe im Gazastreifen. «Dafür braucht es aber zunächst eine humanitäre Feuerpause», sagte die Grünen-Politikerin am Freitag vor einer Sitzung des Ministerkomitees des Europarats im französischen Straßburg.

Eine solche Feuerpause müsse endlich dafür sorgen, dass alle festgehaltenen Geiseln freikommen, das Leid der Menschen in Gaza gelindert werde «und dass wir auf einen politischen Pfad kommen können, wo die internationale Gemeinschaft, wo Schlüsselakteure sicherlich auch eine wichtige Rolle für die Sicherheit übernehmen müssen», ergänzte Baerbock. «Ansonsten wird das Drehbuch der Terroristen immer, immer weiter aufgehen. Und das wäre fatal für die Menschen in Gaza. Es wäre ebenso fatal für die Menschen in Israel.»

© dpa ⁄ Annette Birschel, Laura Almanza Vollert, Gregor Mayer, Jörg Blank und Torsten Holtz, dpa
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