Manuel Neuer stellte seinen silbernen Rollkoffer ab und ging direkt zu den Fans an dem großen Absperrgitter. Der Zuspruch der Anhänger tat dem Torwart nach seinem nächsten beunruhigenden Fehler bei der EM-Generalprobe gegen Griechenland gut. Ein paar Autogramme schrieb die deutsche Nummer eins und entschwand in die Nacht. Kurz vor dem EM-Anpfiff ist die Diskussion über die Zuverlässigkeit Neuers allerdings entbrannt, da kann sich Julian Nagelsmann noch so schützend vor seinen Stammtorwart stellen.
«Es ist mir völlig wurscht, was in den Medien diskutiert wird. Das wurde auch schon vorher diskutiert und unzählige Male diskutiert», sagte der Bundestrainer nach dem 2:1 in Mönchengladbach. Intern werde man den Fehler vor dem 0:1, als Neuer den Ball prallen ließ und Giorgos Masouras die Griechen in Führung bringen konnte, «nicht bewerten, nicht analysieren, noch daran herumdoktern», sagte Nagelsmann.
Basta-Ansage des Bundestrainers
Eine Torwartdiskussion? Nein. Basta. So kategorisch der Bundestrainer allerdings versuchte, das Thema abzuräumen: So leicht ist es dann aber doch nicht. Nagelsmann selbst zählte die jüngste Serie der Missgeschicke auf. Bei Real Madrid das Halbfinal-Aus in der Champions League verantwortet. Im Bundesliga-Finale bei der TSG Hoffenheim Platz zwei noch mit dem FC Bayern verspielt. Dann der zu lässige Chipball gegen die Ukraine beim DFB-Comeback am vergangenen Montag, der ohne Folgen blieb. Und nun der Abpraller gegen die Griechen.
Was ist da los bei Neuer? Ist es das Alter? Ist es eine Spätfolge der schweren Beinverletzung? Was, wenn die Serie bei der EM weitergeht? Beschleuniger der Debatte ist die Sonderlage, dass in Marc-André ter Stegen ein ebenbürtig kompetenter Torhüter bereitstünde.
Dieser hatte zuletzt keinen Hehl daraus macht, bei aller Loyalität der Mannschaft gegenüber über die erneute Degradierung zur Nummer zwei beim Heimturnier nach 18 Monaten solidem Vertretungsdienst in Neuers Abwesenheit maximal enttäuscht zu sein. Nagelsmann aber hat eine Grundsatzentscheidung gefällt und wird diese auch für das EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland am kommenden Freitag nicht revidieren.
Keine eigenen EM-Zweifel
Neuer selbst reagierte auf sein Missgeschick im 119. Länderspiel sehr analytisch. «Grundsätzlich muss ich den Ball besser wegbringen, das steht fest für mich, das habe ich auch sofort gemerkt», sagte er der ARD. EM-Zweifel? Sicher nicht. «Bei beiden Spielen finde ich, dass ich gute Leistungen gezeigt habe. Und so gehe ich auch in die Gruppenphase», sagte der 38-Jährige nach seinem Comeback.
Die Kollegen äußeren sich ohnehin unverändert ehrfürchtig, ob der Aura und Lebensleistung der ewigen Nummer eins. «Wenn Manuel Neuer keine Sicherheit ausstrahlen kann, wer sonst? Er ist der Rückhalt für die Mannschaft», sagte Maximilan Mittelstädt.
Siegtorschütze Pascal Groß geriet sogar richtig ins Schwärmen. «Ich verstehe die Diskussion nicht. Die zwei, die er hält, können genauso gut Tore sein», spielte er auf Neuers Glanzparaden gegen Christos Tziolis an. «Ich glaube, dass er ein unfassbar guter Torwart ist. Ich habe ihn das zweite Mal gesehen beim Training. Ich bin begeistert, wie gut er ist. Das habe ich so in meiner Karriere noch nicht erlebt», sagte Groß.
Redaktionshinweis: Reaktionen von Bundestrainer Julian Nagelsmann im 2., 4. und letzten Absatz