Manuel Neuer ist immer als Erster da. Mit federndem Schritt kommt er noch in Turnschuhen die Treppe zum Trainingsplatz im EM-Quartier hinunter. Dann verschwindet er kurz im Fitnesszelt. Danach geht es direkt weiter auf den kleinen Nebenplatz zu den speziellen Torwartübungen. Es wirkt wie ein Ritual. Es ist aber auch ein Zeichen: Hier bin ich. Ich bin der Erste. Ich bin die Nummer eins.
Zweifel an diesem Status, die vor der EM kurz aufwallten, sind längst wieder obsolet. Gedanken an ein mögliches Ende im DFB-Trikot nach dem Heim-Turnier werden noch nicht ausgesprochen. «Das kann ich jetzt noch nicht verraten», sagte die ewige deutsche Nummer eins zur Zukunft im Nationaltrikot. Nach der EM werde er sich «Gedanken machen», fügte der 38-Jährige an.
Natürlich war er auch als Erster da, beim Abschlusstraining der Fußball-Nationalmannschaft in Herzogenaurach für das Viertelfinale gegen Spanien. Auf den Ältesten im deutschen Team kommt es am Freitag (18.00 Uhr/ARD/Magenta TV) in Stuttgart besonders an. Neuer weiß, worum es gegen Spanien geht.
Erst Stabilität, dann Tore
«Wichtig ist erstmal die Stabilität, die wir haben. Dass wir immer in der Lage sind, Tore zu schießen, das hat man in der Vergangenheit gesehen. Wenn wir Widerstände überwinden und defensiv gut arbeiten, das ist erst mal der Hauptgrund, weshalb wir weitergekommen sind», sagte er im Interview bei MagentaTV.
Für ihn geht es darum, «das letzte Puzzleteil» einzusetzen. Der Bayern-Schlussmann will seine beeindruckende Länderspiel-Laufbahn mit dem EM-Titel krönen. Dieser fehlt dem Weltmeister von 2014 in seiner Vita noch. «Wir sind schon längere Zeit reif für den EM-Titel», sagte Neuer. Die starken Spanier sind die ultimative Prüfung auf dem Weg Richtung Endspiel in Berlin. «Ich fühle mich wohl und freue mich auf jedes Spiel», versicherte er.
Spanien, das ist auch für Neuer ein spezieller Gegner. Er hat noch nie gegen die Fußball-Übermacht gewonnen. Beim einzigen Sieg in seiner Ära im November 2014 spielte Ron-Robert Zieler als Ersatzmann. Neuers letzte Spanien-Erinnerung ist bitter. Sechs Tore schlugen bei ihm in der schwarzen Nacht von Sevilla beim 0:6-Debakel im November 2020 ein. Neuer flog immer wieder hilflos durch die Luft.
Weniger als ein Gegentor pro Spiel
Ohne die Lehrstunde wäre eine erstaunliche Bilanz noch besser. In 123 Partien für Deutschland kassierte er nur 116 Treffer, weniger als einen pro Partie. Beim 2:0 gegen Dänemark im Achtelfinale blieb er zum 50. Mal in einem Länderspiel ohne Gegentor. In einem Pflichtspiel gegen Spanien ohne Gegentor? Das schafften bislang nur Sepp Maier 1976 und Eike Immel 1988, beim 2:0 bei der letzten Heim-EM.
81 Siege, 23 Unentschieden und 19 Niederlagen stehen in Neuers Länderspiel-Bilanz als deutscher Rekordtorwart. 10.980 Minuten stand er im DFB-Tor, das sind 183 Stunden oder 7,6 Tage. Mehr als eine Woche Länderspiel nonstop.
Statistikspielchen dieser Art bringen Neuer im 124. Länderspiel nichts. Er will auch lieber eine jüngere Fehlleistung mit Spanien-Bezug verdrängen. Im Champions-League-Halbfinale Anfang Mai brachte er im Bayern-Tor die Real-Stars im Bernabeu-Stadion 87 Minuten lang zur Verzweiflung, um dann kurz vor Ende entscheidend zu patzen. Doppeltorschütze Joselu könnte auch am Freitag in Stuttgart wieder vor ihm aufkreuzen.
Nie Endstation im Viertelfinale
Neuer ist der Viertelfinal-Spezialist im DFB-Tor. Er ist ungeschlagen in dieser Turnierrunde bei allen vier Gelegenheiten in 14 Jahren. Und die ewige deutsche Nummer eins hatte daran mehrfach ihren Anteil. WM 2010 in Südafrika: 4:0 gegen Argentinien. EM 2012 in Polen und der Ukraine: 4:2 gegen Griechenland. WM 2014 in Brasilien: Ein 1:0 gegen Frankreich auf dem Weg zum Titelgewinn. In bester Erinnerung ist immer noch Neuers Eisenpranke beim Schuss von Frankreichs Stürmerstar Karim Benzema im Maracanã.
Und zuletzt bei der EM 2016: Der erste deutsche Turniererfolg überhaupt gegen Angstgegner Italien, als Neuer nach einem 1:1 nach 120 Minuten in einem dramatischen Elfmeterschießen mit insgesamt 18 Schützen und mehreren Fehlversuchen auf beiden Seiten die Schüsse von Leonardo Bonucci und Matteo Darmian abwehren konnte. Wer weiß, auch gegen Spanien könnte Neuer in Stuttgart am Ende wieder als Elfmeter-Held gefragt sein.