Toni Kroos hatte eine Bitte. Und die war gleichbedeutend mit einer Kampfansage an den ihm bestens bekannten Rivalen Spanien: Jetzt bloß noch keine Fußball-Nachrufe verfassen. Das EM-Viertelfinale soll und wird nicht das persönliche Finale seiner großen Karriere sein. Das machte Kroos einfach mal deutlich. «Ich gehe nicht davon aus, dass es mein letztes Spiel ist», sagte der 34-Jährige im Teamquartier der Nationalmannschaft in Herzogenaurach.
«Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das Turnier zu gewinnen», sagte Kroos. Zurückgekommen sei er schließlich, um dieses letzte Ziel als Spieler zu erreichen. Wie er da saß auf dem Pressepodium, selbstverständlich und cool, so wie er auf dem Rasen spielt. Ein deutscher Fußball-Weltstar.
Da konnte tatsächlich der Eindruck aufkommen, dass Kroos es nur für folgerichtig hält, mit Deutschland am Freitag (18.00 Uhr/ARD/Magenta TV) in Stuttgart den nächsten Schritt zum EM-Triumph zu machen. Das große Spanien - seit 36 Jahren von Deutschland in keinem Pflichtspiel mehr besiegt - hin oder her.
Spanische Provokation läuft ins Leere
«Ich glaube, dass wir gute Chancen haben. Die Spanier spielen einen guten Ball, wir aber auch, das muss man uns lassen», sagte Kroos. Kleine Spitzen wie von seinem Ex-Kollegen Joselu von Real Madrid, der ihn ganz sicher in Fußball-Rente schicken will, die nimmt Kroos mit diesem sanften Lächeln um seine Mundwinkel zur Kenntnis. Es demonstriert: Ach, wirklich? Soll er es doch mal versuchen.
«Es wird wenig überraschen, wenn ich sage, dass wir da recht viel dagegen haben», sagte Kroos zur durchschaubaren Verbaloffensive aus dem spanischen Teamquartier. Für dieses Selbstvertrauen, das immer schmal an Rande der Arroganz entlangschrammt, hat ihn Julian Nagelsmann zurückgeholt in die Nationalmannschaft.
Ein weiteres Beispiel: Es zieht sich durch die Vita von Kroos, dass man ihn in Spanien immer besser verstand, mehr wertschätzte, sogar liebte, anders als in Deutschland. «Die einen sind schneller, die anderen brauchen ein bisschen länger - aber am Ende verstehen es alle», sagte Kroos mit großer Selbstgewissheit zu diesem Fakt und sorgte für reichlich Lacher.
Als speziellen Ratgeber und Spanien-Experten für den Bundestrainer sieht sich der Ruhepol und Stabilisator des deutschen Spiels aber gar nicht. Die gegnerischen Spieler kenne doch eh jeder, aus Champions League, Vereins-Fußball und den bisherigen EM-Partien.
Erfolg begründet Erfolg
Kroos hat eine andere Erfolgsformel ausgemacht, die die DFB-Elf nun im EM-Flow weiter bis zum Finale am 14. Juli nach Berlin tragen soll. Acht Spiele, keine Niederlage - seitdem er zurück ist. Erfolg begründet sich durch Erfolg. Das klingt schon sehr nach Real Madrid. «Ich sehe uns vorbereitet, weil wir einen anderen Glauben haben», sagte er. Aus schwierigen Situationen sei man herausgekommen. Da könne er den Kollegen viel über seine Karriere erzählen. «Man muss es fühlen und erleben», sagte Kroos.
Eines ist der deutschen Nummer 8 vor ihrem 114. Länderspiel klar. Gegen Spanien wird das Spiel im Zentrum entschieden, in seinem Wirkungskreis. Spaniens Strippenzieher Rodri sieht er dabei als unterschiedlichen Gegenpart. Dass der Gegner gezielt versuchen wird, seine eigenen Wirkungskreise zu brechen, wäre für Kroos «keine Riesenüberraschung». Das Schöne an der Konstellation sei aber, dass Spanien versuchen wird, in erste Linie über die «eigenen Feinheiten ins Spiel» zu kommen.
Staunen über Wunderknaben
Feinheiten, das ist die Kategorie, in der Kroos Fußball empfindet. Entsprechend angetan ist er vom 16 Jahre alten spanischen Dribbelkünstler Lamine Yamal. Auch wenn der ihm schmerzlich vor Augen führt, dass er das Fußball-Rentenalter doch erreicht hat. «Wenn Sie das so sagen, fühle ich mich nicht jünger», reagierte Kroos auf einen Hinweis, dass er die ersten Schritte im Profi-Fußball machte, als Yamal gerade geboren war. Als Kroos im März 2010 in der Nationalmannschaft gemeinsam mit Thomas Müller gegen Argentinien debütierte, war der spanische Wunderknabe noch keine drei Jahre alt.
«Es ist schon ein Wahnsinnsalter», sagte Kroos. Aber Bangemachen ist nie seine Kategorie. Und Erfahrung ist auch ein Gut. «Er ist ein Spieler, der noch nicht so viele Viertelfinals gespielt hat. Wir wollen ein anderer Gegner sein als die vorherigen für Spanien. Wir wollen ihn gut beackern, dass er nicht das Spiel machen kann wie bisher», kündigte Kroos an.
Und wenn das alles nicht klappt? Wenn der EM-Traum am Freitagabend vorbei ist? Natürlich habe er sich mit diesem Szenario beschäftigt. «Einen EM-Titel kann man nicht einplanen», sagte Kroos. Das Gleiche wie in Madrid mit Meistertitel und Champions-League-Triumph zum Abschluss versuche er auch für Deutschland. «Ohne, dass ich am Boden zerstört wäre, wenn es nicht passiert», machte er klar.
Hobbysuche steht an
Kroos, auch das ist ein Wesenszug, ist irgendwie immer auf alles vorbereitet. Die typische Rentnerfrage, was nach dem Tag X komme, wenn er dann nicht mehr arbeiten müsse, die kontert er flott. «Ich habe nie gearbeitet.» Wieder so ein Spruch mit leichtem Arroganz-Potenzial. Doch es stimmt halt auch. Nie wieder werde er etwas so gut können wie Fußballspielen, erzählte der Greifswalder von seinen Gedanken über die Zeit nach dem EM-Sommer. Ganz egal, welches Hobby er sich suche.
Natürlich stehe dann die Familie im Mittelpunkt, da ist sich Kroos sicher. Frisuren-Debatten könne es geben, zum Beispiel, wenn Frau Kroos nicht die Meinung von Mann und Söhnen zum richtigen Styling teilt. Das wiederum ist dann ein Thema für einen Karriere-Nachruf nach dem Finale in Berlin und nicht relevant für das Spiel gegen Spanien.