Umtost von einer politischen Debatte startet die französische Star-Équipe um Kylian Mbappé in die Titel-Mission bei der Fußball-EM. Auch der Kapitän und Superstar ist ebenso wie der frühere Bundesliga-Profi Marcus Thuram geschockt vom jüngsten Rechtsruck bei den Europawahlen. Der Verband sah sich kurz vor dem sportlichen Auftakt gegen Ralf Rangnicks Österreicher am Montag (21.00 Uhr/ARD und MagentaTV) zu einem offiziellen Kommuniqué genötigt und warnte wie einst die DFB-Spitze bei der vermurksten WM 2022 in Katar vor einer zu großen Politisierung des Teams. Zu spät - wie Mbappé selbst verdeutlichte.
«Man muss trennen, was wichtig ist und was nicht. Das Spiel ist extrem wichtig. Es gibt aber auch Dinge, die wesentlich wichtiger sind als das Spiel morgen», sagte der 25-Jährige. «Dies ist ein wichtiger Moment in der Geschichte unseres Landes. Vielleicht ist er so wichtig wie noch nie.»
Angesichts dieser Nebengeräusche reagierte Nationaltrainer Didier Deschamps auffallend reserviert auf die deutliche Positionierung seines Teams, das laut Mbappé auch eine Botschaft rund um das Spiel am Montag plant. «Nach der Euro können wir gerne darüber sprechen», sagte Deschamps, der der erste Mensch sein kann, der sowohl als Spieler als auch als Trainer Welt- und Europameister wird.
Deschamps sieht «viele Hürden» bei der Équipe Tricolore
Bis dahin hat der Coach der Grande Nation nach eigener Aussage aber noch «viele Hürden zu meistern». Insbesondere die bemerkenswerte Politisierung seiner Spieler scheint dem 55-Jährigen zu missfallen. Dagegen wirken die ewigen Debatten um Superstar Mbappé, dessen Wechsel von Paris Saint-Germain zu Real Madrid bei vielen Landsleuten nicht gut ankam und die ständigen Zweifel am Teamgeist der von vielen Egos geprägten Star-Auswahl wie Kleinkram.
Wie so eine Polit-Debatte vor einem großen Turnier eine sportliche Mission scheitern lassen kann, erlebte zuletzt die deutsche Mannschaft vor zwei Jahren in Katar, als von den Spielern Statements zur Menschenrechtssituation im WM-Gastgeberland gefordert wurden. Dies führte damals zur umstrittenen Teamgeste, als sich die Spieler beim Mannschaftsfoto vor dem ersten Spiel gegen Japan den Mund zuhielten. Rund um das Team wurde damals von kaum etwas anderem gesprochen. Das Spiel gegen Japan ging 1:2 verloren, die DFB-Auswahl schied in der Vorrunde aus.
«Die Situation ist traurig»
Die Situation bei den Franzosen ist nun durchaus vergleichbar. Die Spieler werden neben den üblichen sportlichen Dingen mindestens genauso häufig mit der politischen Lage daheim konfrontiert. Nach der Europawahl, bei der die rechtsnationale Partei Rassemblement National auf über 31 Prozent gekommen war, hatte Staatspräsident Emmanuel Macron Neuwahlen zum französischen Parlament angesetzt.
Macrons Partei hatte nur knapp 15 Prozent der Stimmen bekommen. «Die Situation in Frankreich ist traurig, sie ist ernst», sagte Inter Mailands Thuram: «Das ist die traurige Realität unserer Gesellschaft.»
Laut der Zeitung «Le Parisien» wollen fast 40 Personen der französischen Delegation auch während der EM von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen - die Wahl in Frankreich ist vom 30. Juni bis zum 7. Juli, also während der EM-K.o.-Phase angesetzt. Dafür müsste jeweils eine andere Person - etwa ein Familienangehöriger - per Vollmacht beauftragt werden.
«Wir können etwas verändern. Wir haben die Zukunft unseres Landes in unserer Hand», sagte Mbappé. «Ich rufe alle jungen Menschen auf, zur Wahl zu gehen. Die Menschen müssen sich mit unseren Werten identifizieren können.»
Der französische Verband reagierte bereits und warnte am Samstagabend vor zu großer Politisierung des eigenen Teams. Es sei «angebracht, jegliche Form von Druck und politischer Ausnutzung des französischen Teams zu vermeiden», hieß es in einer Stellungnahme. Deutschland und die WM 2022 lassen grüßen.
Profitiert Rangnicks Pressingmaschine Österreich?
Diese Gemengelage soll die Chance für die ambitionierten Österreich sein, die längst nicht mehr nur mitspielen wollen. Rangnick impfte seinem Team ein komplett neues Selbstverständnis ein. «Er hat uns ein neues Denken beigebracht. Wir machen uns nicht mehr in die Hose», sagte Christoph Baumgartner von RB Leipzig. Der Mittelfeldspieler ist einer von zwölf Profis, die in Deutschland ihr Geld verdienen. Mehr stehen bei dieser Euro nur im DFB-Aufgebot. «Es ist auf jeden Fall eine Art Heim-Euro», sagte Stürmer Michael Gregoritsch vom SC Freiburg, der seit zwölf Jahren in Deutschland spielt.
Seit 2022 hat Rangnick aus Österreich eine Pressingmaschine gemacht, die großen Gegnern wehtun kann. Der 65-Jährige selbst fühlt sich geliebt wie selten zuvor in seiner Laufbahn. «Ich bin auf unvergleichliche Weise angekommen, als Trainer und als Mensch», sagte der älteste Chefcoach des Turniers der «Zeit».