Die Zahl der krankheitsbedingten Fehlzeiten von Beschäftigten wird in diesem Jahr einen Rekord erreichen. Allein zwischen Januar und August kamen auf 100 Versicherte rund 225 krankheitsbedingte Arbeitsausfälle, wie der AOK-Bundesverband auf Basis von Krankmeldungen ermittelt hat. Das waren zu diesem Zeitpunkt genau so viele Krankheitsfälle wie im Gesamtjahr 2023.
Dabei stehe die zu erwartende Grippewelle im Herbst und Winter noch aus, sagte Carola Reimann, die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands, bei der Vorstellung des aktuellen AOK-Fehlzeiten-Reports 2024.
Treiber sind Atemwegserkrankungen
Zum Vergleich: Im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021 kamen auf 100 Versicherte lediglich knapp 160 Krankheitsfälle pro Jahr. «Für den hohen Krankenstand der letzten Monate und Jahre gibt es eine Vielzahl von Gründen», betonte Reimann. Zum einen gebe es einen tatsächlichen Anstieg von Krankenfällen. Treiber seien dabei nach wie vor die sogenannten Atemwegserkrankungen, zu denen auch Covid zählt.
Auf 100 AOK-Mitglieder kamen im bisherigen Jahresverlauf rund 75 dieser Erkrankungen. Auch hier rechnet die AOK für das laufende Jahr mit einem Höchstwert. Im Schnitt waren die Beschäftigten in einem solchen Fall rund sechs Tage krankgeschrieben.
Psychische Belastungen im Beruf nehmen zu
Zu den Treibern zählen die Versicherer auch psychische Erkrankungen. Hier kamen zwischen Januar und August auf 100 Versicherte rund 15 solcher Fälle und damit bereits mehr als im Gesamtjahr 2023.
Weil Arbeitnehmer in solchen Fällen meist deutlich länger krankgeschrieben sind als etwa bei einer Erkältung, hat sich die Zahl der Fehlzeiten aufgrund von psychischen Erkrankungen zwischen 2014 und 2024 um fast die Hälfte erhöht. Im Schnitt sind die Beschäftigten in diesem Fall mehr als 28 Tage krankgeschrieben.
Besonders betroffen seien von psychischen Erkrankungen die Arbeitnehmer in sogenannten kontaktintensiven Branchen wie im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bildungsbereich, sagte Johanna Baumgart, Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.
«Das ist nicht erstaunlich, wenn man sich anschaut, wie die psychischen Belastungen für Arbeitnehmer in den letzten Jahren angestiegen sind», unterstrich sie. Zum einen durch die vielfältigen globalen Krisen aber auch durch konkrete Stressoren in der Arbeitswelt: «Arbeitszeitverdichtung, Kommunikationsverdichtung, Flexibilisierung sind alles Sachen, die auf die Seele drücken können.»
Keine Hinweise auf Missbrauch der telefonischen Krankschreibung
Ein weiterer Grund für die hohen Fehlzeiten könnte auch die dauerhafte Einführung der telefonischen Krankschreibungen sowie die damit verbundene automatische Übermittlung an die Versicherungen sein. Krankheitsfälle würden dadurch nun umfassender erfasst, denn nicht alle Patienten hätten früher den Krankenzettel an die Versicherung gesendet.
Dass die telefonische Krankschreibung in nennenswertem Umfang missbräuchlich genutzt werde, sei hingegen nicht zu erkennen, machte Baumgart deutlich. «Wir können ganz klar sagen, dass es da keine Hinweise gibt.» Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich mit Blick auf die steigenden Fehlzeiten jüngst für eine Abschaffung dieser Möglichkeit ausgesprochen.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) bezeichnete die Zahlen des AOK-Reports als «alarmierend». «Sie zeigen gerade bei den psychischen Erkrankungen ganz eindeutig: Die Intensität der Arbeitsbelastung hat an vielen Stellen weiter zugenommen», teilte die SoVD-Vorstandsvorsitzende, Michaela Engelmeier, mit. Befeuert werde die Situation vom weiter anwachsenden Fachkräftemangel.
Zusammenhang zwischen Bindung und Gesundheit
«Die Arbeit muss auf immer weniger Schultern verteilt werden», sagte Engelmeier. Die telefonische Krankschreibung hingegen erweise sich als sehr hilfreich und entlastend sowohl für Arztpraxen als auch Patienten.
Der AOK-Report sieht einen Zusammenhang zwischen der emotionalen Bindung des Arbeitnehmers an sein Unternehmen und der Gesundheit der Beschäftigten. «Es zeigte sich bei Befragungen, dass eine hohe Bindung an den Arbeitgeber einhergeht mit einem subjektiv besseren Gesundheitszustand.» Unternehmen könnten diese Bindung weiter stärken, indem sie Führungskräfte entsprechend darauf ausbildet und betriebliche Angebote zur Gesundheitsfürsorge macht.