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«Niemand kommt» - Unmut in Spanien nach den Unwettern

In einigen Orten scheint trotz der Zerstörung wieder die Sonne. Doch viele fühlen sich alleingelassen oder bangen um Vermisste. Die Opferzahl derweil klettert weiter. Gibt es Lehren aus der Tragödie?
Nach den Überschwemmungen in Spanien
Nach den Überschwemmungen in Spanien

Die warme Sonne am blauen Himmel trügt: In dem 10.000-Seelen-Ort Sedaví in der Provinz Valencia südlich der gleichnamigen Großstadt herrscht unter den Einwohnern derzeit nur Verzweiflung. Dort rauschte das Wasser durch die Straßen, zerstörte Häuser und türmte Autos auf, die jetzt Hauseingänge blockieren, sodass Bewohner ihre Wohnungen nicht verlassen können. 

«Ich kenne mindestens 30 Menschen, die beinahe ums Leben gekommen wären», sagt ein Anwohner sichtlich mitgenommen der Zeitung «El País». Ein anderer bricht im Beisein einer Reporterin des Staatssenders RTVE vor laufender Kamera fast in Tränen aus und sagt: «Niemand kommt, um die Autos wegzuziehen oder uns irgendetwas zu bringen. Man hat uns aufgegeben.» Die Menschen bräuchten Essen, Kleidung und Schaufeln, um selbst die Erdmassen wegschaufeln zu können. 

Suche nach Vermissten im Fokus

Die schweren Unwetter vom Dienstag hatten vor allem in der Mittelmeerregion Valencia gewütet. Allein in der gleichnamigen Provinz kamen 155 der bisher bestätigten 158 Menschen ums Leben. Auch andere bei Touristen beliebte Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha im Landesinneren erlebten Stunden des blanken Entsetzens. 

Die extremen Niederschläge hatten binnen weniger Stunden zahlreiche Flüsse in reißende Ströme und Straßen in Flüsse verwandelt, die Häuser zerstörten und Bäume, Menschen sowie Fahrzeuge mit sich rissen. Der Wetterdienst Aemet sprach von einem «historischen Unwetter», dem schlimmsten der Art in der Region Valencia.

Nach der Bergung Dutzender weiterer Leichen am Donnerstag wurden Medien zufolge immer noch Menschen vermisst. Wie viele es sind, dazu geben die Behörden keine Zahlen bekannt. Verteidigungsministerin Margarita Robles sprach vormittags von «vielen Menschen», über deren Schicksal man noch gar nichts wisse. Danach wurden aber mehr als 60 neue Leichen entdeckt und geborgen. Die Identifizierung der Opfer stand noch aus. Die Suche nach Vermissten geht derweil weiter. Alleine mehr als 1.000 Soldaten sind dafür im Einsatz.

Debatte über besseren Hochwasserschutz - Bauwut am Pranger

Die Katastrophe hat eine Debatte darüber ausgelöst, wie sich solche Tragödien künftig verhindern lassen. Experten fordern eine umfassende Überprüfung und Verbesserung der Hochwasserschutzpläne. Die Situation in der Mittelmeerregion habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, insbesondere durch das massive Bevölkerungswachstum, den Tourismusboom und die damit verbundene Bauwut. Zumal Extremwetterereignisse wie diese durch den Klimawandel immer wahrscheinlicher würden, heißt es.

Der Aktionsplan zur Verhütung von Hochwasserrisiken wurde in Valencia zuletzt 2015 aktualisiert. Dort wird festgehalten, dass zwölf Prozent der sogenannten Autonomen Gemeinschaft (entspricht einem Bundesland in Deutschland) mit 600.000 Bewohnern hochwassergefährdet sind. José Vicente Sánchez Cabrera, Professor für Raum- und Stadtplanung an der Universität Valencia, sieht dringenden Handlungsbedarf, da das Risikogebiet inzwischen viel größer sei: «Man muss die Pläne aktualisieren», forderte er.

In der betroffenen Region gibt es inzwischen eine sehr hohe Dichte etwa an Straßen und Eisenbahnlinien, die quer zu Flüssen verlaufen und deshalb bei Überschwemmungen einen Staueffekt verursachen. Die überschwemmten Dörfer liegen links von der Autobahn, und die Infrastruktur stellt eine Blockade dar, so Jorge Guillén vom Spanischen Nationalen Forschungsrat (CSIC). Zur Entschärfung der Lage schlagen Experten vor, die neuen und größeren Risiken bei der Stadtplanung stärker zu berücksichtigen sowie naturbasierte Maßnahmen wie das Anpflanzen von Ufervegetation.

Wurde zu spät gewarnt?

Diskutiert wurde auch über die Frage, ob die Behörden die Bürger zu spät gewarnt haben. Fest steht: Der Wetterdienst Aemet rief bereits am Dienstagmorgen gegen 7.30 Uhr die höchste Warnstufe aus, was sehr hohe Gefahr bedeutet. Und Medien berichteten groß darüber. Aber es stimmt auch, dass die Warnungen des Zivilschutzes am Dienstag erst kurz nach 20 Uhr an die Handys aller Menschen in der Region Valencia gingen. Dabei habe es aber schon Stunden vorher zu regnen begonnen, merkten Kritiker und Medien an.

Aber die meisten Medien, die Experten und Politiker sind sich einig: Für Schuldzuweisung und Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, wie unter anderem Valencias Regionalpräsident Carlos Mazón betonte. 

Sein Amtskollege in Kastilien-La Mancha, Emiliano García Page, meinte: «Wer glaubt, eine Zauberformel zu haben, um Naturkatastrophen vorherzusehen, begeht ein großes Unrecht. Und vor allem erzeugt er Angst und Wut in schwierigen Zeiten.» Zahlreiche Experten erklärten unisono, man könne die Entwicklung eines solchen Unwetters nicht vorhersehen, da sich die Lage aufgrund der verschiedenen einwirkenden Faktoren oft nahezu minütlich ändere.

© dpa ⁄ Emilio Rappold und Angelika Engler, dpa
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