Ein schwarzer Abend für die Ampel: SPD, Grüne und FDP haben bei der Europawahl nach den ersten Prognosen zusammen noch nicht einmal ein Drittel der Stimmen eingefahren und sind allesamt hinter der AfD gelandet. Die wurde zwar nicht ganz so stark, wie vor einigen Monaten noch zu erwarten war, aber der Trend geht klar nach rechts. Und mit der Union gibt es einen deutlichen Sieger. Was bedeuten die Ergebnisse vom Sonntagabend nun für die Bundespolitik der nächsten Monate?
SPD-Ergebnis geht auch auf das Konto des Kanzlers
Die SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz hatte schon bei der Europawahl 2019 mit 15,8 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung eingefahren. In den ersten Prognosen lag sie am Sonntagabend noch darunter - bei 14 Prozent. «Für uns ist das ein ganz bitteres Wahlergebnis», sagte Generalsekretär Kevin Kühnert in einer ersten Reaktion.
Das Ergebnis muss sich auch der Kanzler selbst ankreiden lassen. Er ist im Wahlkampf volles Risiko eingegangen, hat sich bewusst neben Spitzenkandidatin Katarina Barley in die erste Reihe gestellt und sich mit ihr zusammen plakatieren lassen. Bei Großveranstaltungen hat er sich als Friedenskanzler, Hüter der Rente und des Mindestlohns und zuletzt dann auch noch als Hardliner beim Thema Abschiebung von Schwerstkriminellen präsentiert. Das historisch schlechteste Ergebnis zeigt: Die Rechnung ist nicht aufgegangen.
Zuletzt hat die SPD ihre Wahlschlappen stillschweigend ertragen: Keine Kritik am Kanzler, kein Rumnörgeln am Parteikurs in der Regierung. Ob das diesmal auch so sein wird, ist fraglich. Zuletzt hatte ausgerechnet Ex-Parteichef Franz Müntefering mit der These überrascht, es sei noch nicht entschieden, wer bei der nächsten Wahl als Kanzlerkandidat antrete. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wurde zuletzt trotz aller Dementis immer wieder als möglicher Kanzler der Reserve gehandelt.
Kracht es jetzt wieder in der Ampel?
Bei den Grünen schluckte die Parteiführung kollektiv, als bei ihrer Wahlparty in der Berliner Columbiahalle um 18 Uhr die erste Prognose mit mauen 12,5 Prozent eingeblendet wurde. Die versammelte Anhängerschaft stöhnte gequält - und gleich noch einmal, als kurz darauf das deutlich bessere Ergebnis der AfD angezeigt wurde. Das selbst gesteckte Ziel, die AfD zu schlagen, haben die Grünen verfehlt.
Lange haben die Grünen von politischer Verantwortung im Bund geträumt, doch das Image als unverbrauchte Hoffnungsträgerin liegt mit der Beteiligung in Scherben - Stichwort Heizungsgesetz. Im Vergleich zur vorherigen Europawahl mit ihrem Ergebnis von 20,5 Prozent sind die Grünen geradezu abgestürzt. Die Wahlkampagne unter dem Motto «Machen, was zählt», die Warnungen vor einem Rechtsruck und die in Deutschland mäßig bekannte Spitzenkandidatin Terry Reintke haben die Menschen nicht elektrisiert. Ärger für die Ampel-Koalition ist trotz allem von den Grünen nicht zu erwarten: Auch nach wenig erfreulichen Landtagswahlen stand die Partei stets felsenfest zur Koalition.
Für die FDP ist das Ergebnis insgesamt betrachtet ein weiterer Tiefschlag, auch wenn am Abend in der Berliner Parteizentrale die erste Prognose von 5 Prozent wie mit Erleichterung laut beklatscht wurde. Es ist absehbar, dass die Parteiführung in der Ampel nun mehr auf Konfrontation und für die eigenen Positionen in den politischen Konflikt geht. Die Liberalen machen die Ampel-Politik verantwortlich dafür, dass sich Anhänger abwenden. Auch die streitbare Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die als «Eurofighterin» plakatiert wurde und das zentrale Gesicht der Liberalen im Wahlkampf war, hat das Ruder nicht herumreißen können.
Als politische «Rampensau» war sie über die Marktplätze gezogen und hatte sich Kritiker und Schreihälse vorgeknöpft. Nun blieb ihr zwar eine Bruchladung erspart, und es sah am Abend so aus, als würden die 5,4 Prozent der letzten Europawahl von 2019 etwa gehalten, doch hat sich die Zustimmung der Wähler seit der letzten Bundestagswahl (11,5 Prozent der Stimmen) etwa halbiert.
AfD jubelt: Stärker als die Kanzler-Partei
In der AfD-Bundesgeschäftsstelle im Norden Berlins brach um 18.00 Uhr Jubel aus, Deutschlandfähnchen wurden geschwenkt. Ein deutliches Plus von 5 Prozentpunkten nach ersten Prognosen im Vergleich zur letzten Europawahl 2019 (11 Prozent). Parteichef Tino Chrupalla nannte das Ergebnis historisch und zeigte sich vor allem zufrieden damit, dass seine Partei noch vor der Kanzlerpartei SPD auf Platz zwei landete.
Die Rechten hatten allerdings vor wenigen Monaten noch darauf gehofft, ihr Ergebnis von 2019 zu verdoppeln - in den Umfragen sah es zumindest noch zum Jahreswechsel danach aus. Die Werte waren nach den Großdemonstrationen infolge von Berichten über ein Rechten-Treffen in Potsdam, bei dem es um sogenannte Remigration ging, und nach wochenlangen Negativschlagzeilen über AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah und die Nummer zwei auf der AfD-Liste, Petr Bystron, deutlich zurückgegangen. Bei beiden geht es um mögliche Verbindungen nach Russland, bei Krah auch solche nach China.
Union feiert Comeback
Bei der Union galt: Neue Geschlossenheit, neues Programm, ein kürzlich bei der ersten Wiederwahl in seiner internen Macht gestärkter CDU-Chef Friedrich Merz - und die Europawahl erwartungsgemäß klar gewonnen. Die CDU-Granden feierten genüsslich die Klatsche für die Ampel-Regierung. Gerade auch, weil die Europawahl die erste bundesweite Abstimmung seit dem 24,1-Prozent-Desaster im Bund 2021 war.
Doch wie groß die Feierlaune in den Führungsetagen der Union tatsächlich ist? Die Bäume wachsen für die Union nicht in den Himmel - wie festgenagelt liegt sie bei 30 Prozent. Bauchschmerzen werden die AfD-Zahlen bereiten. CDU/CSU dürften ihr Kernthema Sicherheit gerade vor den September-Wahlen im Osten nun noch stärker betonen.
Intern galt die 30-Prozent-Marke auch als Gradmesser für den Zufriedenheitspegel mit Parteichef Merz. Die Aussagekraft des Ergebnisses für die unionsinterne K-Frage dürfte aber eher begrenzt sein - der Sauerländer gilt derzeit intern als weitgehend unangefochten. CSU-Chef Markus Söder und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst, die als weitere Aspiranten für die Kanzlerkandidatur gelten, werden ihre Hoffnung aber kaum vollständig begraben. Die Union will ihre K-Frage nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg klären.
Wagenknecht-Partei meistert Bewährungsprobe
Vor der Europawahl sagte Sahra Wagenknecht, «fünf Prozent plus» wären ein «sensationeller Erfolg» für ihre erst im Januar gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht. Nun sind es nach ersten Prognosen tatsächlich fünf bis sechs Prozent geworden. «Wir haben heute hier Parteiengeschichte geschrieben», meinte Generalsekretär Christian Leye am Abend - noch nie habe eine Partei so kurz nach der Gründung einen so guten Wert erreicht. Punkten konnte das BSW vor allem mit der Kritik an der westlichen Militärhilfe für die Ukraine und der Forderung nach Friedensverhandlungen mit Russland. Wagenknecht selbst lockte Tausende vor Bühnen im ganzen Land - obwohl sie bei der Europawahl gar nicht kandidierte.
Das Ergebnis ist für das BSW eine gute Ausgangsposition für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. In Ostdeutschland findet die neue Partei noch mehr Anklang als im Westen. Falls die AfD im Herbst stark wird und keine Partner findet, könnte das BSW sogar im ersten Jahr nach der Gründung Regierungspartner werden. Das wiederum dürfte dem BSW helfen, bei der Bundestagswahl 2025 gut abzuschneiden. Die Europawahl zeigt aber auch: Mit bundesweit fünf bis sechs Prozent steht Wagenknecht keinesfalls für die «Mehrheit», die angeblich von den etablierten Parteien übergangen wird.
Wirklich zu schaffen macht Wagenknecht ihrer ehemaligen Partei, der Linken. Die blieb mit um die drei Prozent noch einmal deutlich unter ihrem schwachen Ergebnis von 2019, als sie 5,5 Prozent einfuhr. Für Parteichef Martin Schirdewan eine schwere Schlappe, war er doch auch Europaspitzenkandidat. Die ostdeutschen Landtagswahlen und die nächste Bundestagswahl dürften für die Linke die letzte Chance vor der Bedeutungslosigkeit sein.