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Ein Jahr Nagelsmann: Punktsieger mit Perspektive

Julian Nagelsmann freut sich über einen Punkt in Holland. Darüber muss der überehrgeizige Bundestrainer schmunzeln. Zum ersten Amtsjubiläum gibt es viele Komplimente. Die großen Ziele aber bleiben.
Niederlande - Deutschland
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Ein Ständchen bekam Julian Nagelsmann zu seinem kurz bevorstehenden einjährigen Dienstjubiläum als Bundestrainer von Joshua Kimmich, Jamal Musiala und Florian Wirtz noch nicht vorgesungen. Nach dem couragierten 2:2 in den Niederlanden zog es die Fußball-Nationalspieler schnell wieder zurück nach Hause. In München, Dortmund, Leverkusen, Stuttgart und Leipzig warten schließlich jetzt neue große Aufgaben in Bundesliga und Champions League. 

Ein sprichwörtliches Loblied auf den Zeremonienmeister der deutschen Fußball-Wiedergeburt stimmten aber zuvor ein prominenter Experte, der DFB-Boss höchstpersönlich und auch der neue Kapitän jeweils auf ihre Art an. 

«Julian hat alles richtig gemacht», gab Rekordnationalspieler Lothar Matthäus am RTL-Mikrofon eine für ihn geradezu euphorische Pauschal-Bewertung ab. Verbandschef Bernd Neuendorf war sich mit Spielführer Kimmich einig, dass dieses Unentschieden im extremen Power-Spiel gegen den Erzrivalen der letzte Beleg für einen unfassbaren Mentalitätswandel bei der Nationalmannschaft war. 

Nach einem Jahr Nagelsmann ist die Rückkehr in die Weltspitze kein plakatives Kampagnenmotto mehr, sondern erfreuliche Realität. «Früher hätte es so eine Reaktion nicht gegeben», stellte der DFB-Präsident fest, als er in der Johan-Cruyff-Arena mit großer Erleichterung die vielen Rolltreppen Richtung Ausgang hinabfuhr. 

Auch Kimmich nahm Bezug auf den Umgang mit dem historisch frühen Tor-Dämpfer gegen Oranje nach nur zwei Minuten. «Auch wenn wir in Rückstand gehen, wenn Rückschläge kommen, dann halten wir zusammen. Das ist wichtig, dass wir da zusammenstehen und wissen, dass wir jeden Gegner schlagen können», sagte der 29-Jährige. Mit seinem 2:1 markierte der Bayern-Profi zwar nicht den Siegtreffer, aber er lieferte damit ein Signal für die Widerstandsfähigkeit auch nach dem Umbruch nach der EM. 

Viertelfinale in der Nations League schon greifbar

Nagelsmann drückte seine Zufriedenheit nach einem unglaublich intensiven Fußball-Abend dezenter aus. Eines machte der 37-Jährige aber klar: «Wir sind auf einem guten Weg.» Zwei Spiele. Vier Punkte. Platz eins. Das sind die Zahlen nach dem Neu-Start nach der Heim-EM in der Nations League. Schon im Oktober kann das Viertelfinale klargemacht werden. Die K.o.-Phase in dem Wettbewerb hat Deutschland bei drei Versuchen seit 2018 noch nie erreicht. 

Für Nagelsmann geht es aber weiter um die Entwicklung seiner Mannschaft Richtung WM 2026. Die bleibt das große Ziel. Titelfähigkeit verinnerlichen. Vorleben. Und da ist die Erkenntnis, dass der Bundestrainer mit seiner Lust am Siegen und der Leidenschaft für jedes Detail eine ultra-konzentrierte und optimistische Atmosphäre geschaffen hat, die es in der Form seit den fröhlichen Tagen des Confed-Cup-Sieges eines jungen Perspektivteams 2017 nicht mehr gegeben hat. 

Alles ist möglich. Man muss es nur wollen und dafür arbeiten. Das ist eine Message von Nagelsmann. «Ich finde nichts fürchterlicher, als wenn es einem egal wäre», sagte er auf die Frage, ob sein Team nach dem 5:0 gegen Ungarn und dem Remis gegen Oranje schon weiter sei, als er es selbst geglaubt habe. Weit ja, aber nicht so weit, merkte der Bundestrainer an. Er selbst wunderte sich ein bisschen, dass er mit einem Unentschieden zufrieden sein kann. «Ich kann mit dem 2:2 leben. Das aus meinem Mund, das heißt was», sagte er. 

Was ihm gefallen habe, seien die Einstellung und Bereitschaft. «Der Anspruch an die Mannschaft ist, dass wir alles reinwerfen. Das haben die Fans wieder gesehen», konstatierte der 37-Jährige. Ein Aufbäumen ohne Panik, das gefällt Nagelsmann. «Nackenschläge sind das Schwerste im Fußball. Die muss man bekämpfen», sagte er. Seine Arbeit wirkt genau so: «Wir vermitteln den Glauben. Die Spieler glauben an sich», sagte er. 

Kimmich bestätigte: «Da hat man gemerkt, dass wir ein gutes Vertrauen in unsere Stärke haben.» Für dieses Vertrauen braucht das Team auch keine Oldies wie Toni Kroos zur Konsolidierung mehr.

Bilanz mit marginalem Makel

Alles hat Nagelsmann nicht richtig gemacht in seinen ersten zwölf Monaten, die am 22. September komplett sind. Mats Hummels holte er als ersten Stabilisator und ließ ihn dann schnell wieder fallen. Im November 2023 verzockte er sich mit Taktikspielchen. Kai Havertz als Linksverteidiger, das wird als Trial-and-Error stehen bleiben. Die Makel sind aber minimal.

Nach 15 Spielen stehen neun Siege, drei Unentschieden und drei Niederlagen. Vor allem aber: Die Rückgewinnung der Fan-Herzen durch schönen Fußball. Was soll noch besser werden, wenn die Mannschaft weit, aber nicht weit genug ist? Es gäbe nicht den einen kritischen Punkt. Aber für Nagelsmann ist der Knackpunkt die Konstanz. Soll heißen, das immer wieder mögliche Abrufen der besten Leistung. 

Milde mit Tah und Schlotterbeck

Und die Abwehr, durchgeschüttelt von der niederländischen Angriffswucht? Da wollte Nagelsmann nicht zu hart sein. Keine generelle Trainer-Einzelkritik an Jonathan Tah. «Er hat einen schweren Stand gehabt.» Oder an Nico Schlotterbeck. «Er muss nicht immer den Ball erobern wollen. Man muss auch mal stellen.» Insgesamt war für Nagelsmann klar: «Wir können es als Gruppe besser machen.» 

Im Oktober kehrt sicher der diesmal geschonte Abwehrchef Antonio Rüdiger für die Spiele in Bosnien-Herzegowina (11.10.) und wieder gegen Oranje (14.10.) zurück. Ob es weitere personelle Ergänzungen gibt, bleibt abzuwarten. Bis zur nächsten Kader-Nominierung in drei Wochen stehen nur drei Bundesliga-Spieltage und die ersten zwei Runden in der Champions League an. 

In diesem engen Slot setzt Nagelsmann auf die Hilfe der Vereine und untermauerte dies mit einem ungewöhnlichen Appell. «Am Ende muss man auch als Nationaltrainer voller Demut sagen, dass wir die Clubs brauchen. Durch das Training hier werden wir kein Weltmeister oder auch sonst irgendwas», sagte der Bundestrainer. 

© dpa ⁄ Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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