Dass die Dimensionen nun etwas größer sind, hat Christian Wück schnell bemerkt. «Ich glaube, ich habe noch nie vor so vielen Zuschauern trainiert - nicht mal als Profi», sagte der neue Bundestrainer der deutschen Fußballerinnen, nachdem über 2.000 Fans der DFB-Elf bei der Übungseinheit in Frankfurt applaudiert hatten. Am Freitag (20.30 Uhr/ARD) wird's dann noch ein paar Nummern größer werden. Anlässlich des Wück-Debüts öffnet Wembley seine Pforten, die «Kathedrale des Fußballs» (Pelé), wo Europameister England dem Olympia-Dritten einen heißen Empfang bereiten dürfte.
«Die Aufgeregtheit wird definitiv kommen», sagt Wück vor seinem ersten Spiel als Bundestrainer, aber «die Vorfreude da drauf ist unheimlich groß.» In Wembley war der 51 Jahre alte Ex-Profi noch nie, anders als Teile seines neuen Teams. 2022 verlor das DFB-Team in London das EM-Finale gegen die Gastgeberinnen vor 87.192 Zuschauern 1:2. «Wir wissen, dass wir da eine Topleistung zeigen müssen, um einen Grundstein zu legen», sagt Wück vor der Neuauflage. Aber auch: «Ich mag Herausforderungen.»
Wück über Titeltraum: «In kleinen Schritten»
So groß wie Wembley und Auftaktgegner England mutet Wücks neue Aufgabe insgesamt an. Die EM 2025 sei «das große Ziel», erklärte DFB-Sportdirektorin Nia Künzer. Elf Jahre liegt der letzte von bislang acht EM-Titeln bereits zurück. Doch im Vergleich mit Männer-Trainer Julian Nagelsmann, der recht offen vom WM-Triumph 2026 spricht, klingt Wück bescheiden: «Ich möchte in kleinen Schritten dahingegen», sagte er mit Blick auf das Turnier in der Schweiz.
Dass in Wück, der auf Interimslösung Horst Hrubesch folgte, erneut ein Mann die deutschen Fußballerinnen anleitet, kann dem neuen Coach recht egal sein, dem DFB weniger. «Es gibt aktuell leider nicht viele Trainerinnen, die für entsprechende Positionen angefragt werden könnten», kritisierte Ex-Nationalspielerin Inga Grings, bis vergangenes Jahr Coach der Schweizer Fußballerinnen, bereits im Juni.
Eklatanter Mangel
Der Mangel an Spitzentrainerinnen im deutschen Fußball ist eklatant, selbst in der Frauen-Bundesliga stehen aktuell ausschließlich Männer an der Seitenlinie. An der Basis sieht es ebenfalls mau aus. Nur 8 Prozent aller Personen, die zum Stichtag 31. Dezember 2023 eine gültige C-Lizenz besaßen, waren weiblich.
Wück ist dafür kaum verantwortlich zu machen, er sieht's pragmatisch: «Es ist doch komplett egal, ob eine Frau oder ein Mann im Männer- oder im Frauenfußball arbeitet. Wichtig ist, wie die Arbeit stattfindet, welche Qualität die Arbeit hat und wie es bei der Mannschaft ankommt.»
Im (männlichen) DFB-Nachwuchs, wo er über ein Jahrzehnt wirkte, stimmte der Nachweis zuletzt. Welt- und Europameister mit der U17 wurde der frühere Bundesliga-Stürmer, der unter anderem beim 1. FC Nürnberg und dem Karlsruher SC spielte, im vergangenen Jahr.
Gwinn: «Sehr angenehm»
Nun will Wück die Fußballerinnen überzeugen, Titel gewinnen zu können. «Wenn wir das hinbekommen, dann haben wir ganz große Chancen, das auch wirklich zu schaffen.» Bayern-Spielerin Giulia Gwinn, gegen England Kapitänin, fand den Start der Wück-Mission schon mal «sehr angenehm», in Wembley solle «das erste Ausrufezeichen» gesetzt werden. Vereinskollegin Klara Bühl erwartet von Wück «neue Reize», vermutlich schon in den vier Trainingseinheiten vor dem England-Spiel.
«Eine Art Neustart, ein Umbruch», wie es Künzer formulierte, wird nötig sein. Erfahrene Kräfte wie Ex-Kapitänin Alexandra Popp (33), Abwehrchefin Marina Hegering (34) und Torhüterin Merle Frohms (29) erklärten ihren Rücktritt, Mittelfeld-Antreiberin Lena Oberdorf sowie Innenverteidigerin Bibiane Schulze Solano fehlen nach schweren Knieverletzungen noch etliche Monate. Für Wück geht es auch deshalb darum, sich «einen Überblick über das Mannschaftsgefüge» zu verschaffen.
K-Frage noch offen
Das beinhaltet die Frage, wer als feste Kapitänin auf Popp folgt. Die Bereitschaft, das Kapitäninnen-Amt zu übernehmen, müsse auch von der Spielerin ausgehen, findet Wück. «Es gibt ganz viele Spielerinnen, die wollen vielleicht gar keine Spielführerin sein.» Erst nach den Testspielen gegen England und am Montag in Duisburg gegen Australien (18.30 Uhr/ZDF) könne er sagen, «wer dafür infrage kommt und wer nicht». Als Top-Kandidatin gilt Gwinn, die zur K-Frage am Montag aber nur sagte: «Die ist zu wertig, um da jetzt zu spekulieren.»
Auch ein festes Spielsystem will Wück vorerst nicht festlegen. Es gilt: «Attraktiv spielen.» Und nach Leitlinien. So wolle er auch coachen, erklärt Wück, also das individuelle Verhalten, etwa bei Ballbesitz, in den Vordergrund stellen. «Unabhängig vom System: Wenn man sich danach richtet, sehen wir ein gutes Spiel.» Vielleicht ja schon gegen England vor großer Kulisse.