Mit einem Lächeln im Gesicht und schwungvollen Schrittes betrat Thomas Tuchel den Presseraum im ehrwürdigen Wembley-Stadion. Dann zog er zwei Zettel aus seinem dunklen Jackett und meisterte die vielbeachtete erste Amtshandlung als künftiger Nationaltrainer Englands bestens vorbereitet - und mit einem humorvollen Seitenhieb auf seine Kritiker.
«Es tut mir leid, ich habe nur einen deutschen Pass», sagte der 51-Jährige lächelnd in Richtung derjenigen, die lieber einen Engländer auf dem wichtigsten Trainerposten im selbsterklärten Mutterland des Fußballs gesehen hätten.
Als erst dritter ausländischer Three-Lions-Coach nach dem Schweden Sven-Göran Eriksson und dem Italiener Fabio Capello - dazu noch als erster Deutscher - weiß Tuchel, dass er ab Dienstantritt am 1. Januar 2025 zunächst gegen Vorbehalte ankämpfen muss. Auch deswegen sprach er bei seiner Vorstellung stets von «wir» und «unser» - so wie bei seinem formulierten WM-Ziel am Ende seiner vertraglich zunächst auf 18 Monate begrenzten Amtszeit: «Wir werden alles tun, um unseren Traum in Amerika wahr werden zu lassen.»
Macht Tuchel bis zur Heim-EM 2028 weiter?
Dieses Versprechen hatte er schon kurz zuvor den Fans gegeben. Man wolle versuchen, «den zweiten Stern auf unser Trikot zu bekommen», sagte er in einer Video-Botschaft auf Instagram. Englands ungestillte Sehnsucht nach dem ersten großen Titel seit dem WM-Triumph 1966 ist für Tuchel Anspruch und Ansporn zugleich.
Er will England zur WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada führen und dort dann die «60 years of hurt» (60 Jahre Schmerz) beenden. Was es dazu neben dem bereits vorhandenen Top-Kader noch braucht? «Glück und das Momentum», antwortete Tuchel.
Und dann? An die EM 2028, bei der England Mitgastgeber ist, denkt Tuchel noch nicht. «Wir warten ab, was 2026 rauskommt, und dann sehen wir weiter.» Eine Entscheidung, ob er die für ihn «sehr berührende» englische Nationalhymne mitsingt, hat er auch noch nicht getroffen.
Tuchel lobt seinen Vorgänger
Klar ist dagegen: In den zwei noch anstehenden Nations-League-Spielen im November in Griechenland und gegen Irland wird Interimstrainer Lee Carsley nochmal das Team um Kapitän Harry Kane betreuen. Danach kehrt er zur U21 zurück. Er wolle nicht in Carsleys Arbeit eingreifen, versicherte Tuchel, der auch Vorgänger Gareth Soutgathe lobte. «Wir werden auf dem aufbauen, was Gareth und die FA aufgebaut haben. Und hoffentlich können wir noch etwas ergänzen, damit wir ans Ziel kommen.»
Wie man Titel gewinnt, weiß Tuchel jedenfalls. Er hat mit dem FC Bayern und mit Paris Saint-Germain nationale Meisterschaften gewonnen, seine erfolgreichste Zeit hatte er aber mit einem Premier-League-Club: Mit dem FC Chelsea, mit dem er 2021 in Champions League, im Super Cup und bei der Club-Weltmeisterschaft triumphierte. Wegen der Zeit bei den Blues fühle er sich «mit dem Fußball in diesem Land schon lange persönlich verbunden», sagte Tuchel, «und es hat mir bereits einige unglaubliche Momente beschert».
Königliche Vorfreude auf Tuchel
Prinz William sichert Tuchel schon mal seine Unterstützung zu. «Thomas, wir wünschen Dir viel Glück und stehen alle hinter Dir!», schrieb der britische Thronfolger auf der Plattform X. Der 42-Jährige sieht mit der Ernennung des Deutschen «spannende Zeiten» auf die Three Lions zukommen, «mit einer neuen Generation talentierter Spieler und einem neuen Manager, der die Zügel in die Hand nimmt».
Aber nicht bei allen wird der erste Deutsche auf dem wichtigsten Trainerposten im «Mutterland des Fußballs» mit offenen Armen empfangen. «Ich bin sehr patriotisch und finde, wir sollten einen englischen Trainer haben», sagte Trainer-Ikone Harry Redknapp bei Sky Sports.
In einem Kommentar der «Daily Mail» war vom «dunklen Tag für England» die Rede, denn: «England muss bis zum letzten Mann im Trikot englisch sein. Wir brauchen keinen Thomas Tuchel, sondern einen Patrioten, für den das Land an erster, zweiter und dritter Stelle steht.»
Ex-Nationalspieler Rio Ferdinand ist anderer Meinung. «Du willst aber den Besten haben», sagte der 45-Jährige in einem Youtube-Video. Tuchel könne die Skeptiker mit einem Titel eines Besseren belehren, so Ferdinand: «Wenn er gewinnt, ist er unsterblich.»
Tuchel selbst bat die Fans darum, ihm eine faire Chance zu geben. «Hoffentlich kann ich sie überzeugen, ihnen zeigen und beweisen, dass ich stolz bin, Englands Trainer zu sein, und alles tun werde, was ich kann, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.»
Warum nicht Pep Guardiola?
Der Verband hatte nach dem Ende der achtjährigen Amtszeit von Southgate im Anschluss an die EM-Finalniederlage gegen Spanien nach einem neuen Cheftrainer gesucht. Medienberichten zufolge soll es im Sommer auch informellen Kontakt zu Pep Guardiola gegeben haben.
Doch der Spanier hätte ohnehin erst frühestens nach Ablauf seines aktuellen Vertrags bei Manchester City Ende Juni 2025 zur Verfügung gestanden. Auch Jürgen Klopp und Graham Potter sollen auf der Kandidatenliste gestanden haben.
Doch die Wahl fiel auf Tuchel, der auch bei der englischen Nationalmannschaft seinen langjährigen Assistenten Anthony Barry zur Seite gestellt bekommt. Nun gibt es für ihn ein Wiedersehen mit Harry Kane, beide kennen sich aus der gemeinsamen Zeit bei den Bayern. «Er ist ein fantastischer Trainer und ein fantastischer Mensch», hatte der 31-Jährige vor der offiziellen Bestätigung durch den Verband bei Sky gesagt.