Normalerweise bekommen Sparer Zinsen, wenn sie Geld zur Bank bringen. Doch über Jahre berechneten viele Geldhäuser ihren Kundinnen und Kunden negative Zinsen für deren Guthaben. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) können nun Inhaber von Sparkonten mit Rückzahlungen rechnen. Für Kunden mit Girokonten gilt das nur unter bestimmten Umständen.
Nach der Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) im Sommer 2022 sind die sogenannten Verwahrentgelte nahezu wieder verschwunden. Rechtlich umstritten blieb aber lange, ob die Praxis überhaupt erlaubt war. Nun hat der BGH in Karlsruhe entschieden: teils, teils.
Was hat der Bundesgerichtshof entschieden?
Der BGH hat klargestellt: für Guthaben auf Spar- und Tagesgeldkonten dürfen Banken und Sparkassen keine Verwahrentgelte erheben. Das würde nämlich den Charakter der Einlagen, die neben einer Verwahrung auch Anlage- und Sparzwecke verfolgen, verändern. Verbraucher würden dadurch unangemessen benachteiligt.
Anders sieht es das Gericht mit Blick auf Girokonten. Die Verwahrung des Geldes stelle hier eine von der Bank erbrachte Hauptleistung dar und unterliege damit keiner rechtlichen Inhaltskontrolle. Somit dürften die Geldinstitute auf diese Einlagen grundsätzlich Negativzinsen erheben.
Das große Aber: Die Vertragsklauseln zu den Verwahrentgelten müssen transparent sein, betont der Senat. Kunden müssen etwa verstehen können, auf Grundlage welches Guthabens die Entgelte berechnet werden. Sonst sind auch hier die Strafzinsen unzulässig.
Wie kam es überhaupt zu den Negativzinsen?
Von Juni 2014 an mussten Geschäftsbanken im Euroraum Zinsen zahlen, wenn sie Gelder bei der EZB parkten. Auf dem Höhepunkt der Negativzinsphase waren es 0,5 Prozent. Etliche Geldhäuser gaben die Kosten dafür an ihre Kundschaft weiter und verlangten Verwahrentgelte. Sparerinnen und Sparer fühlten sich enteignet - auch wenn die Zinsabzüge auf dem Konto in der Regel erst ab einem bestimmten Freibetrag fällig wurden. Im Juli 2022 schaffte die EZB die Negativzinsen ab, in der Folge lockerten auch Banken und Sparkassen die Gebührenschraube wieder.
Worum ging es konkret in Karlsruhe?
Der für Bankenrecht zuständige 11. Zivilsenat des BGH entschied konkret zu Klagen der Verbraucherzentrale Sachsen, der Verbraucherzentrale Hamburg, sowie des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (vzbv). Sie waren gegen drei Banken und eine Sparkasse vor Gericht gezogen, die von Verbrauchern Entgelte für die Verwahrung von Einlagen auf Giro-, Tagesgeld- und Sparkonten erhoben hatten. (Az. XI ZR 61/23 u.a.)
Wie reagieren die Verbraucherverbände?
«Das ist ein großer Erfolg für die Bankkunden in Deutschland», sagt Michael Hummel von der Verbraucherzentrale Sachsen. «Das Gericht hat klargestellt, dass Negativzinsen in den allermeisten Fällen unzulässig sind.» Das Urteil sei vor allem deshalb so wichtig, weil während der Niedrigzinsphase fast alle Banken Negativzinsen erhoben. «Es waren sehr viele Verbraucher betroffen und diese Beträge sind nun rückzahlbar durch die Banken», so Hummel.
David Bode von dem Verbraucherzentralen Bundesverband kommentierte nach der Entscheidung: «Zwar hat der Bundesgerichtshof Verwahrentgelten für die Zukunft nicht per se einen Riegel vorgeschoben. Dennoch werden wir genau hinschauen, ob ein nicht ausgeschlossenes Comeback von Negativzinsen dann im rechtlich noch zugelassenen Rahmen erfolgt.»
Was sagen die Banken?
Die Volksbank Rhein-Lippe sieht die BGH-Entscheidung als Bestätigung ihrer Geschäftspolitik während der Negativzinsphase. Die Bank habe Verwahrentgelte «sehr transparent ausschließlich in Form einzelvertraglicher Vereinbarungen» berechnet. Das Karlsruher Urteil zeige, «dass Banken in herausfordernden Marktsituationen wirtschaftlich sinnvolle Lösungen finden dürfen», sagt Vorstand Marc Indefrey - auch mit Blick in die Zukunft. «Wir werden auch zukünftig das persönliche Gespräch mit unseren Mitgliedern, Kundinnen und Kunden suchen und für Transparenz sorgen.»
Wie viele Banken sind von dem Urteil betroffen?
Auf dem Höchststand im Mai 2022 verlangten mindestens 455 Geldhäuser in Deutschland von ihren Kunden Negativzinsen. Das zeigen Marktdaten des Finanzvergleichsportals Verivox. Demnach orientierten sich die meisten Banken am Einlagezins der EZB und setzten den Strafzins auf 0,5 Prozent. «Bei einem Teil der Banken wurden auch Klein- und Durchschnittssparer belastet», sagt Verivox-Geschäftsführer Oliver Maier. «Einige Geldhäuser berechneten Negativzinsen schon ab 5.000 oder 10.000 Euro.»
Um wie viele Kundinnen und Kunden geht es?
Einer Verivox-Umfrage zufolge zahlten 13 Prozent von 1.023 Befragten Negativzinsen an ihre Bank, also jeder achte. Demnach lag der Anteil bei Gutverdienern mit einem Nettoeinkommen ab 3.000 Euro bei 15 Prozent, der Anteil unter den Befragten mit niedrigen Einkommen unter 2.000 Euro bei 7 Prozent. In der Umfrage gaben 88 Prozent der betroffenen Befragten an, die Strafzinsen zurückfordern zu wollen, wenn der BGH den Weg dafür freimacht.
Was heißt das für betroffene Verbraucher?
«Betroffene Bankkunden müssen jetzt aktiv werden», sagt Hummel. Eine automatische Rückzahlung an betroffene Verbraucher hatte der BGH abgelehnt. «Das heißt, wer Negativzinsen gezahlt hat in der Vergangenheit, der sollte sich schnellstmöglich rechtliche Beratung suchen und bei seiner Bank die Beträge zurückfordern.» Beratung gebe es bei den Verbraucherzentralen, aber auch bei spezialisierten Anwälten.
Gibt es eine Verjährungsfrist?
«Die Standardverjährung in Deutschland beträgt drei Jahre», erklärt Hummel. «Ansprüche, die im Jahr 2022 entstanden sind, die sind bis zum Ende des Jahres 2025 noch nicht verjährt.» Aber auch ältere Ansprüche könnten noch geltend gemacht werden, wenn sogenannte verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen wurden. «Wenn sie mit der Bank gestritten haben über diesen Zins, wenn es ein Gerichtsverfahren oder Ähnliches gab, dann können Kunden noch deutlich ältere Forderungen geltend machen», so Hummel.