Verbotene Preisabsprachen und Bußgelder in Millionenhöhe: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Haftung von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern für Kartellbußgelder gegen ihre Unternehmen beschäftigt. Am Ende wendet sich der Kartellsenat an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg - und fragt ihn, ob eine nationale Regelung, nach der Unternehmen für die Bußgelder ihre Geschäftsführer oder Vorstände in Regress nehmen können, Europarecht widerspricht. (Az. KZR 74/23)
Konkret ging es in Karlsruhe um die Klage von zwei miteinander verbundenen Edelstahlunternehmen gegen einen Mann, der zugleich Geschäftsführer der klagenden GmbH und Vorstandsvorsitzender der klagenden AG war. Von 2002 bis 2015 hatte er sich mit anderen Unternehmen der Stahlbranche an einem Preiskartell beteiligt. Nach mehrjährigen Ermittlungen verhängte das Bundeskartellamt zunächst im Jahr 2018 Bußgelder gegen mehrere Beteiligte.
355 Millionen gegen Edelstahl-Kartell verhängt
«Die Unternehmen haben über Jahre hinweg wichtige Preisbestandteile beim Vertrieb von Edelstahl abgesprochen», teilte damals Kartellamts-Präsident Andreas Mundt mit. «Durch die abgestimmte, brancheneinheitliche Berechnung und Anwendung von Schrott- und Legierungszuschlägen und durch einen weitreichenden Austausch wettbewerblich sensibler Informationen wurde der Preiswettbewerb zwischen den Unternehmen erheblich beeinträchtigt.»
Kartelle sind Abmachungen zwischen Unternehmen, durch die der Wettbewerb beschränkt wird. Dem Bundeskartellamt zufolge führen Kartellabsprachen regelmäßig zu überhöhten Preisen bei sinkender Produktqualität. Zugleich werde die Innovationskraft der Unternehmen durch die Ausschaltung des Wettbewerbs gebremst. Das Kartellamt kann gegen verantwortliche Personen und Unternehmen Bußgelder verhängen.
Als das Kartellamt im Juli 2021 das Verfahren gegen die Edelstahlunternehmen offiziell abschloss, hatten die Wettbewerbshüter insgesamt rund 355 Millionen Euro gegen zehn Edelstahlunternehmen, zwei Branchenverbände und siebzehn verantwortliche Personen verhängt.
Die GmbH, die nun am BGH gegen ihren ehemaligen Chef klagt, musste 4,1 Millionen Euro zahlen. Gegen den Geschäftsführer persönlich verhängte das Amt ein Bußgeld von 126.000 Euro. Der klagenden AG blieb wegen der Strafe gegen die GmbH ein Bußgeld erspart.
Wer haftet für Kartellbußen?
Vor Gericht verlangen die Unternehmen von dem Beklagten die Erstattung des bezahlten Bußgelds, Ersatz für zur Abwehr des Bußgelds entstandene IT- und Anwaltskosten sowie Schadenersatz für alle weiteren Schäden, die aus dem Kartellverstoß in Zukunft folgen. Sie argumentieren, der frühere Firmenchef habe durch die Mitwirkung an den Preisabsprachen seine Pflichten als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt.
Grundsätzlich gilt: wenn Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder ihre Pflichten verletzen, haften sie für den Schaden, der der Gesellschaft dadurch entsteht. Das ist jeweils im deutschen GmbH- und Aktiengesetz geregelt.
Am BGH ging es unter anderem darum, ob es dabei eine Ausnahme für Bußgelder wegen Kartellrechtsverstößen geben kann. Die Frage ist bislang in der Literatur und Rechtssprechung umstritten.
Im vorliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, dass mit Blick auf das verhängte und bezahlte Bußgeld kein Regress in Betracht komme. Dem Gericht zufolge erstreckten sich die gesellschaftlichen Vorschriften zur Haftung der Chefs nicht auf solche Schäden, die wegen verhängter Kartellbußgelder entstehen. Das würde sonst den Zweck des Unternehmensbußgelds vereiteln - nämlich, das Vermögen der Gesellschaft nachhaltig zu treffen.
Existenzielle Risiken für Firmenchefs
Zwar falle die Ausgestaltung der Geldbußen in die Kompetenz der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten, erklärte der Kartellsenat. Jedoch müssten die Staaten nach EuGH-Rechtsprechung sicherstellen, dass nationale Wettbewerbsbehörden bei Kartellrechtsverstößen wirksame Geldbußen verhängen können. Diese Wirksamkeit könnte beeinträchtigt sein, wenn sich ein Unternehmen mit dem Rückgriff auf Führungskräfte von der Bußgeldlast entlasten könnte. «Daher stellt sich auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt», so der BGH.
Falls der BGH am Ende im Sinne der klagenden Unternehmen urteilt, hätte das für Firmenchefs erhebliche Folgen. «Sollte der BGH eine Regressmöglichkeit bejahen, wären Geschäftsführer und Vorstände existenziellen Haftungsrisiken ausgesetzt», sagt Rechtsanwalt Lorenz Jarass von der Kanzlei Noerr. «Die gegen Unternehmen verhängten Bußgelder liegen häufig im Millionen-, wenn nicht gar im Milliardenbereich, und in vielen Fällen greift, jedenfalls der Höhe nach, nicht der D&O-Versicherungsschutz für Geschäftsführer und Vorstände.»
Die sogenannte Directors-and-Officers- oder D&O-Versicherung ist eine Haftpflichtversicherung, die Führungskräfte vor Vermögensschäden schützt. Sie spielt auch bei dem vorliegenden Fall eine Rolle. So hatte das OLG betont, dass der Sanktionszweck des Bußgelds vor allem dann gefährdet wird, wenn Vorstand und Geschäftsführer über eine D&O-Versicherung weit über die Höhe des Bußgelds hinaus versichert sind.