Trommelschläge schallen durch dunkle Straßen, der Weckruf bis ins Schlafzimmer. Im Fastenmonat Ramadan würde so mancher Muslim die letzte Mahlzeit vor Sonnenaufgang wohl gnadenlos verschlafen - gäbe es nicht die Wecktrommler. Seit Jahrhunderten ziehen sie in Städten und ländlichen Regionen der muslimischen Welt gegen 3 Uhr früh um die Häuser, um Fastende zum Essen vor Sonnenaufgang (suhur) zu wecken - bevor diese dann rund zwölf Stunden lang unter anderem auf Essen und Wasser verzichten.
«Die misaharati machen Kinder glücklich», sagt Hammad Abdel-Kadir bei einem nächtlichen Rundgang im südlichen Stadtteil Hiluan in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. So nennt man die Trommler dort. Drei Stunden ist er unterwegs, macht zu Hause dann selbst sein suhur und schläft bis zum Nachmittag. Seit rund 40 Jahren lebt er in der Gegend - die letzten 25 Jahre davon ist er mit seiner Trommel um die Häuser gezogen.
Viele Ägypter erinnern sich an Kindheitstage, in denen ein Trommler sie mit Namen rief und persönlich weckte. Auch Abdel-Kadir kennt die Namen vieler Kinder in der Gegend. Wer eines Tages sein Nachfolger werden könnte, sagt der 76-Jährige nicht. «Es ist ein Hobby. Jeder kann es lernen, wenn er mit dem Herzen dabei ist.»
Schon vor Jahrhunderten schallte es nachts durch Kairo
Wann genau der Brauch entstand, ist umstritten. Nach einer Theorie soll der Kalif al-Hakim um das 11. Jahrhundert seine Soldaten im heutigen Kairo losgeschickt haben, um vor dem Morgengebet an Türen zu hämmern. Teils heißt es, schon im 9. Jahrhundert habe der Ägypten-Verwalter die Bewohner höchstpersönlich geweckt, in dem er von Haus zu Haus lief oder vom Minarett einer Moschee in die Nacht rief.
In Geschäften erinnern die kleinen Trommeln wie auch die Ramadan-Laternen daran, dass die für Muslime feierlichste Zeit des Jahres begonnen hat. In einigen Ländern wurde das Trommeln oft begleitet mit Flöten oder Lauten, fast immer aber mit religiösen Sprüchen und Gesängen.
In neueren Vierteln von Kairo, Istanbul oder Tunis und an den Hochhäusern von Riad oder Dubai sind die Trommler nie angekommen. Sie wurden ersetzt durch Handys und Wecker. In der Türkei und der arabischen Welt findet man sie noch in älteren und stark muslimisch geprägten Wohngegenden. Laternen und LED-Leuchtketten schmücken im Fastenmonat, der in diesem Jahr voraussichtlich am 30. März endet, Teile ihres Wegs.
Brauch wandert meist von Vater zu Sohn
In der Türkei, wo es etwa 25.000 Trommler gibt, findet die Tradition auf dem Land mehr Anklang als in Städten, sagt der Vorsitzende der Ortsvorsteher-Föderation Ramazan Özünal. Der Brauch werde meist innerhalb der Familie vom Vater zum Sohn weitergegeben. «Es ist eine Art Meister-Lehrling-Beziehung», sagt Özünal.
In dem säkularen Land, wo Religion und Politik laut Verfassung getrennt sind, gebe es auch Beschwerden über den nächtlichen Weckruf. «Heutzutage sind die Menschen gestresst und müde, sie haben keine Energie mehr, um den Traditionen nachzugehen und fühlen sich gestört», sagt Özünal.
Tradition in Nordafrika stark rückläufig
In Nordafrika ist der Brauch teils schon ganz verschwunden. «Ich weiß nichts über die Nachtwächter außer das, was mir die Älteren erzählt haben», sagt in Libyen ein Mann namens Amr al-Dschibali und erklärt, er selbst sei «über ein halbes Jahrhundert» alt. Fatahi al-Murabit, der in der Hauptstadt Tripolis lebt, kann sich zumindest aus Kindheitstagen erinnern an einen Trommler, der auf einem Eselskarren vorbei an seinem Wohnhaus zog.
Auch im benachbarten Tunesien ist die Tradition stark rückläufig, weil die Menschen sich eher auf Handys und Ramadan-Apps für die Zeiten zum Fasten und Beten verlassen. Nur in einer Handvoll Dörfer und städtischen Vororten kann man die Trommler, die Bu Tabila heißen, erleben, vor allem in Kairouan, ein geistiges Zentrum für Muslime in der Maghreb-Region.
«Ich habe den Trommler noch nie gesehen und kenne ihn nur aus Geschichten», sagt ein junger Mann namens Osama in Algeriens Hauptstadt Algier. In Marokko schätzt die Akademie für Kulturelles Erbe, dass es heute landesweit nicht mehr als zehn solcher Trommler gibt. Einer von ihnen ist ein Mann namens Fatta im Ort Salé, der sagt, er wolle das Erbe seines Vaters erhalten.
Trommler halten sich im Irak und Syrien
In anderen Ländern hingegen hat sich der Brauch auch in Zeiten schlechtester Sicherheitslage gehalten - etwa im Irak nach der US-Invasion 2003. Abu Samir al-Chalidi begann dort schon als Kind, seinen Vater auf den Rundgängen zu begleiten. «Trotz der neuen Technologie lieben die Iraker die Stimme des Trommlers, während dieser durch die Straßen zieht», sagt der 61-Jährige der dpa. In der Hauptstadt Bagdad würden oft auch Kinder die Trommler begleiten.
Im benachbarten Syrien scheint es nach dem Sturz der alten Regierung und der teilweisen politischen Öffnung sogar wieder mehr Raum für die misaharati zu geben - und einige Kinder sehen sie zum ersten Mal. «In vielen Stadtvierteln wurde ich gefeiert, weil die Kinder misaharati bisher nur aus dem Fernsehen kannten», erzählt Trommler Imad Amin in Damaskus. Er trägt einen Korb bei sich, in dem die Menschen Essen, Früchte und Süßigkeiten legen.
«Trotz der ganzen technologischen Fortschritte mit Weckern und Handys warten die Menschen immer noch auf die misaharati», sagt auch Abu Rijad al-Hark, der seinen Rundgang in Damaskus gegen 3 Uhr morgens beginnt. Nach dem Sturz der alten Regierung könne er sich jetzt viel freier bewegen und ohne die einst strengen Kontrollen der Sicherheitskräfte.
Technologie nehme heute zu viel Raum ein, meint Trommler Hadsch Ammar aus Algerien. «Nicht alles muss digital sein. Es gibt Traditionen, die uns mit unseren Wurzeln verbinden, und sie aufzugeben, lässt uns einen Teil unserer Identität verlieren.»