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Wahlbetrug? Proteste in Georgien - Zurückhaltung im Westen

Bei der Parlamentswahl in Georgien gibt es massive Verstöße. Aber wiegen sie so schwer, dass die gesamte Wahl als ungültig einzustufen ist? In Tiflis gibt es friedliche Massenproteste.
Nach der Parlamentswahl in Georgien - Proteste
Nach der Parlamentswahl in Georgien
Nach der Parlamentswahl in Georgien - Proteste
Viktor Orban

Zehntausende Anhänger der proeuropäischen Opposition haben nach der umstrittenen Parlamentswahl in der georgischen Hauptstadt Tiflis gegen den Sieg der Regierungspartei Georgischer Traum protestiert. Vor dem Parlament schwenkten viele Menschen die europäische und die georgische Fahne. Die prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili sagte bei der Kundgebung: «Eure Stimme wurde gestohlen, und sie haben versucht, Eure Zukunft zu stehlen». Sie unterstützte die Forderung nach einer Wahlwiederholung unter internationaler Aufsicht.

Die Opposition und Surabischwili sprechen von Wahlfälschung in der kleinen Südkaukasusrepublik, georgische und internationale Wahlbeobachter sprachen überwiegend von Verstößen und Unregelmäßigkeiten. Auch erste westliche Reaktionen gehen nicht so weit, die Abstimmung insgesamt infrage zu stellen. 

US-Außenminister Antony Blinken rief die Politiker in Georgien auf, «Mängel am Wahlprozess» zu beseitigen. Sie sollten Rechtsstaatlichkeit akzeptieren und Gesetze zurücknehmen, die grundlegende Freiheiten einschränkten, schrieb Blinken auf der Plattform X.

 

Parlamentschef wirft Präsidentin Spaltungsversuch vor

Der georgische Parlamentschef Schalwa Papuaschwili warf der Präsidentin vor, sie versuche, mit ihren Wahlfälschungsvorwürfen das Land zu spalten. Surabischwili versuche, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen und verbreite Desinformation, sagte er der Nachrichtenagentur Interpressnews zufolge. 

Der Parlamentschef meinte, dass der Georgische Traum auch ohne die Opposition ein legitimes Parlament bilden könne – mit 89 der insgesamt 150 Mandate. Die Oppositionsparteien haben erklärt, ihre Mandate nicht anzunehmen. In der Ex-Sowjetrepublik, die EU-Beitrittskandidat ist, steht mit dieser Wahl auch die weitere Annäherung an die EU auf dem Spiel.

Regierungschef bekräftigt EU-Kurs

Ministerpräsident Irakli Kobachidse versuchte Befürchtungen zu entkräften, es gebe eine Abkehr vom EU-Kurs. Georgien wolle sich bis 2030 voll in die Europäische Union integrieren, sagte er bei einer Regierungssitzung. Er rechne für das kommende Jahr mit einem Neubeginn im derzeit schwierigen Verhältnis zur EU. 

Ungeachtet vieler Belege für Unregelmäßigkeiten erklärte die Wahlleitung die nationalkonservative Partei Georgischer Traum zur Siegerin mit knapp 54 Prozent der Stimmen. Starker Mann der Partei ist der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland gemacht hat. Den proeuropäischen Oppositionsbündnissen wurden nur jeweils elf Prozent und weniger zugeschrieben. 

Ungarns Regierungschef Orban besucht Georgien

Inmitten des Streits über das Ergebnis der Parlamentswahl kam der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban zu einem Besuch nach Tiflis. Orban steht der Regierungspartei Georgischer Traum ideologisch nahe. Er hatte der Partei am Wahlsamstag bereits gratuliert, noch bevor belastbare Ergebnisse vorlagen. Die Regierungspartei pflegt wie Orban wirtschaftliche Beziehungen zu Russland.

Orban solle am Dienstag offiziell von Kobachidse empfangen werden, teilte die Regierung in Tiflis mit. Ungarn führt derzeit turnusgemäß den EU-Ratsvorsitz. Die meisten EU-Staaten sehen allerdings Orbans Alleingänge kritisch, bei denen er seine moskaufreundliche Position vertritt. Der deutsche Botschafter in Tiflis, Peter Fischer, schrieb bei X, Orban spreche in Georgien für Ungarn, nicht für die EU.

Präsidentin sieht russische Handschrift bei Wahl 

Für eine Wiederholung der Abstimmung sei die Unterstützung des westlichen Auslands notwendig, forderte Präsidentin Surabischwili. Sie vermutet hinter den Manipulationen russische Einflussnahme. Der Betrug sei sehr gut und weit im Voraus geplant, sehr ausgeklügelt und allumfassend gewesen, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Tiflis. «So etwas haben wir in diesem Land noch nicht erlebt.»

Es sei eine gut durchdachte Operation gewesen, nicht nur einfache Wahlfälschung. «Es war für jeden Ort, jede Region angepasst. Was macht man in ländlichen Gegenden? Was macht man in den Städten? Wie begrenzt man den Einfluss der Diaspora?», sagte sie.

Russland dementiert Einmischung in Georgien

Der Kreml dementierte eine Einmischung Russlands in die Wahl. Im Gegenteil hätten die europäischen Staaten Druck auf das Land an der russischen Südgrenze ausgeübt, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. «Viele Kräfte aus europäischen Staaten und europäischen Institutionen haben versucht, Einfluss auf das Ergebnis der Abstimmung zu nehmen», sagte er russischen Nachrichtenagenturen zufolge. 

EU fordert Aufklärung von Unregelmäßigkeiten

Georgische und internationale Beobachter hatten bei der Wahl am Samstag zahlreiche Unregelmäßigkeiten verzeichnet. Genannt wurden Stimmenkauf und Druck auf Wähler und Wählerinnen, gehäuftes Einwerfen von Stimmzetteln in die Wahlurnen und der Missbrauch staatlicher Einflussmöglichkeiten zugunsten der Regierung. Andererseits hieß es, bei 18 Parteien auf dem Stimmzettel habe es eine breite Auswahl gegeben. Die Abstimmung sei gut organisiert gewesen.

Wie US-Minister Blinken forderte auch EU-Ratspräsident Charles Michel von der georgischen Führung eine Aufklärung der Unregelmäßigkeiten. Georgien brauche nun einen konstruktiven Dialog quer durch das politische Spektrum, schrieb er auf X. Er werde die künftigen Beziehungen zu Georgien auch auf die Tagesordnung des nächsten Europäischen Rates im November in Budapest setzen. «Wir wiederholen den Aufruf der EU an die Führung Georgiens, ihr Festhalten am EU-Kurs des Landes zu demonstrieren.» 

Ähnlich äußerten sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und die EU-Kommission in einer Mitteilung. Brüssel hat den Gesprächsprozess mit Georgien auf Eis gelegt wegen mehrerer repressiver Gesetze, die der Georgische Traum durchgesetzt hat.

© dpa ⁄ Katharina Schröder, Friedemann Kohler und Ulf Mauder, dpa
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