Es ist ein Abschied von einer Führungsfigur und eine Demonstration der Stärke: Die libanesische Hisbollah-Miliz hat bei einer Massenveranstaltung Abschied genommen von ihrem langjährigen Anführer Hassan Nasrallah. Fünf Monate nach dessen Tötung durch das israelische Militär wurde er in einem Beiruter Vorort beerdigt. Die Armee des Nachbarlandes griff unterdessen - trotz einer geltenden Waffenruhe - Ziele im Libanon an und ließ während der Zeremonie Kampfjets und Drohnen über Beirut fliegen.
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Israels Armee hatte den langjährigen Anführer der vom Iran unterstützten Schiitenorganisation vergangenen September in einem Vorort Beiruts bei einem massiven Luftangriff getötet. Für die Hisbollah war es der schwerste Schlag seit Jahren. Denn für seine Anhänger war Nasrallah mehr als nur ein Anführer.
Unter Nasrallahs Führung entwickelte sich die Organisation zu einer politischen und militärischen Großmacht im Libanon. Im Nahen Osten formte er die Hisbollah zu einem zentralen Akteur. Er stilisierte sich zum Beschützer der schiitischen Gemeinschaft und zum - angeblich unbesiegbaren - Gegner Israels. Unter anderem die EU und die USA stufen die Hisbollah dagegen als Terrororganisation ein.
Jubel und Tränen
Libanesische Sicherheitskreise schätzen, dass mehr als 400.000 Besucher aus dem Libanon und aus dem Ausland auf den Straßen waren, um Nasrallah die letzte Ehre zu erweisen. Auch örtliche Medien berichteten von Hunderttausenden Besuchern. Im größten Stadion des Landes fand eine Gedenkzeremonie statt. Auch rund um das voll besetzte Stadion drängten sich die Teilnehmer - oft in Schwarz gekleidet und mit Hisbollah-Flaggen und Nasrallah-Porträts, wie Reporterinnen der Deutschen Presse-Agentur berichteten. Große Mengen verfolgten die Zeremonie auf Leinwänden.
Zum Auftakt wurde eine Rede des iranischen Religionsführers, Ali Chamenei, verlesen. Nach einem Gebet rollten die Särge Nasrallahs sowie des ebenfalls getöteten Funktionärs Haschim Safi al-Din auf einem Lastwagen ins Stadion. Beim Anblick der Särge, drapiert mit gelben Hisbollah-Flaggen, brachen die Menschen in Jubel und Tränen aus, warfen Schals und andere Kleidungsstücke.
«Nasrallah liebte das Volk und das Volk liebte ihn. Er ist der Anführer unserer Gedanken und Herzen», sagte Hisbollah-Generalsekretär Naim Kassim in einer per Video übertragenen Rede. «Selbst, wenn unsere Häuser über unseren Köpfen zerstört werden, werden wir den Widerstand nicht aufgeben». Die Hisbollah sei «stark ausgerüstet und zahlreich», sagte Kassim.
Der Iran, der wichtigste Unterstützer der Miliz, zeigte Präsenz: Neben einer von Religionsführer Chamenei entsandten Delegation wichtiger Geistlicher reisten Außenminister Abbas Araghtschi und Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf an, wie die Nachrichtenagentur Tasnim berichtete. Auch ranghohe Mitglieder der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) sowie Vertreter aus dem Irak, wo die Hisbollah in der schiitischen Bevölkerung großen Rückhalt hat, reisten an. Im Irak wie auch im Jemen fanden parallel Gedenkzeremonien statt.
Anschließend zog eine große Prozession zum Begräbnis in den Beiruter Vorort Burdsch al-Baradschne. Bei der Ankunft drängten sich Menschenmassen zum Sarg. Das Begräbnis fand schließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wie lokale Medien berichteten. An der Grabstätte will die Hisbollah einen Schrein für Nasrallah errichten.
Safi al-Dins Grab liegt in seiner Heimatstadt Dair Kanun im Südlibanon.
Expertin: Nasrallah wie eine Vaterfigur
Nasrallahs Tod hat eine tiefe Lücke in die Hierarchie der ohnehin durch den Krieg mit Israel geschwächte Miliz gerissen – auch in ihre Identität. «Er war wie eine Vaterfigur», sagt die Hisbollah-Expertin Hanin Ghaddar vom Washington Institute der dpa. Symbolisch werde nicht nur Nasrallah beerdigt, sondern die gesamte Hisbollah. Nachfolger Kassim reiche an das Erbe nicht heran. Ihm fehle Charisma und Überzeugungskraft. Die Hisbollah habe durch den jüngsten Krieg mit Israel fast alles verloren.
Um die Existenz der Organisation zu sichern, muss der Rückhalt durch die schiitische Bevölkerung im Libanon wieder vollständig hergestellt werden. «Nur Hassan Nasrallah kann das», so Expertin Ghaddar. «Also haben sie ihn wieder ausgebuddelt.» Damit bezog sie sich auf Berichte, dass Nasrallah nach seiner Tötung vorübergehend an einem anderen Ort beerdigt und für die Zeremonie dann noch einmal ausgegraben wurde. Die Trauerfeier sollte als Zeichen dienen, dass die Miliz nicht besiegt ist.
Wieder Kampfjets und Drohnen über Beirut
Ein Jahr lang lieferte sich die Hisbollah einen Krieg mit Israel, durch den die Miliz bei vielen Libanesen auch Rückhalt eingebüßt hat. Vor allem im Süden und in den Vororten Beiruts richtete er große Zerstörung an. Tausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende aus ihren Häusern vertrieben.
Israelische Kampfjets griffen vor und während der Zeremonie Ziele im Libanon an. Militärposten mit Raketenabschussrampen und Waffen hätten eine unmittelbare Bedrohung dargestellt, hieß es zur Begründung. Israel und die Hisbollah werfen sich gegenseitig Verstöße gegen die Waffenruhe vor.
Auch während der Trauerfeier waren dpa-Reporterinnen zufolge tieffliegende Kampfjets und Drohnen zu sehen und zu hören. Die Menge im Stadion forderte den «Tod Israels». Israels Verteidigungsminister Israel Katz teilte mit, die Kampfflugzeuge über Beirut sollten eine klare Botschaft übermitteln. «Ihr werdet euch auf Beerdigungen spezialisieren – und wir auf Siege.»
Redaktionshinweis: In einer früheren Version des Artikels las es sich so, als wäre der iranische Revolutionsführer Chamenei auch vor Ort. Richtig ist, dass er eine Delegation Geistlicher entsendet hat.