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Deutschland prüft Vorgehen nach Haftbefehl für Netanjahu

Die Bundesregierung steht nach dem Haftbefehl gegen Israels Regierungschef vor einem Dilemma. Noch ist offen, wie sie sich positioniert. Für Ungarn ist dagegen klar: Der Haftbefehl wird ignoriert.
Internationaler Strafgerichtshof
Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes ist international umstritten. (Archivbild) © Peter Dejong/AP/dpa

Nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Bundesregierung noch nicht über ihr weiteres Vorgehen entschieden. Berlin befindet sich in einer Zwickmühle: Deutschland ist einerseits Vertragsstaat und Verfechter des IStGH, unterstützt aber auch Israels Recht auf Selbstverteidigung nach dem Terrorüberfall der Hamas im vergangenen Jahr. Klar positionierte sich hingegen Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban: Er sprach demonstrativ eine Einladung an Netanjahu aus und will den Haftbefehl ignorieren - obwohl auch sein Land zu den Vertragsstaaten des IStGH gehört. 

Der Internationale Strafgerichtshof hatte am Donnerstag Haftbefehle gegen Netanjahu und den kürzlich entlassenen israelischen Verteidigungsminister Galant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg erlassen. International ist das hochumstritten. Verbündete Israels kritisieren den Beschluss, während der Iran und die Palästinensische Autonomiebehörde ihn feiern.

Auch gegen einen Anführer der Terrororganisation Hamas - Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, bekannt unter dem Nachnamen Deif - erließen die Richter in Den Haag einen Haftbefehl. Nach israelischer Darstellung ist er jedoch nicht mehr am Leben. 

Baerbock: Einreise Netanjahus ist «hypothetische Frage»

Zum Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant teilte Deutschlands Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit, die daraus folgenden «innerstaatlichen Schritte» würden gewissenhaft geprüft. Weiteres stünde erst an, wenn ein Aufenthalt von Netanjahu und Galant in Deutschland absehbar sei. 

Deutschland sei einer der größte Unterstützer des Gerichtshofs. «Diese Haltung ist auch Ergebnis der deutschen Geschichte. Gleichzeitig ist Konsequenz der deutschen Geschichte, dass uns einzigartige Beziehungen und eine große Verantwortung mit Israel verbinden», ergänzte er. Die Bundesregierung sei an der Ausarbeitung des IStGH-Statuts beteiligt gewesen. Die Entscheidung des Gerichtshofs habe sie zur Kenntnis genommen. 

Vor Journalisten ergänzte Hebestreit in Berlin: «Ich könnte mich dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass es mir schwerfällt, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland durchführen.» Ihm sei über Reisepläne des israelischen Ministerpräsidenten nichts bekannt. Es gebe auch «keine akuten Anfragen aus dem Büro des Premierministers Israels, dass er nach Deutschland kommen will». 

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), erklärte: «Für uns als CDU/CSU-Fraktion wäre es unvorstellbar, dass ein demokratisch gewählter Premierminister des Staates Israels auf deutschem Boden festgenommen wird.» CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte den Haftbefehl gegen Netanjahu eine «bodenlose Dummheit» und fügte hinzu: «Einen demokratischen Regierungschef, der sein vom Terror angegriffenes Land und das Existenzrecht Israels verteidigt dermaßen zu attackieren, ist eine unvorstellbare Entgleisung.»

Außenministerin Annalena Baerbock sagte den Sendern RTL und ntv, Deutschland halte sich «natürlich national, europäisch und international an Recht und Gesetz». Eine mögliche Einreise Netanjahus in die Europäische Union nannte sie eine «hypothetische Frage». «Aber das prüfen wir jetzt genau, wie wir dann damit umgehen werden.»

Ungarn lädt demonstrativ ein

Eine Einladung an Netanjahu aus der EU gibt es schon: Demonstrativ sprach Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Orban sie nach dem Haftbefehl aus. Die Entscheidung des IStGH setze das Völkerrecht außer Kraft und «gießt auch noch Öl ins Feuer», sagte Orban im ungarischen Staatsrundfunk. «Deshalb werde ich Benjamin Netanjahu heute noch einladen, was für ihn keine Konsequenzen haben wird. Wir werden den Haftbefehl ablehnen, wenn er die Einladung annimmt.» Orban pflegt seit langem gute Beziehungen zu Netanjahu.

Israels Regierungschef dankte Orban für seine Unterstützung, wie Netanjahus Büro mitteilte. Ungarn stehe auf der Seite der Gerechtigkeit. Ob er Orbans Einladung annimmt, blieb aber zunächst offen. 

Es ist nicht das erste Mal, dass Ungarn die Umsetzung eines IStGH-Haftbefehls verweigert. Als das Gericht im vergangenen Jahr Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine erließ, kündigte die Regierung in Budapest ebenfalls an, diesen nicht vollziehen zu wollen.

Vertragsstaaten des IStGH sind eigentlich dazu verpflichtet, die Haftbefehle zu vollstrecken. Eine Weigerung, Netanjahu festzunehmen und auszuliefern, hätte zunächst aber keine direkten Folgen. Ein solcher Fall kann an die Konferenz der Vertragsstaaten übergeben werden, die über Konsequenzen entscheidet. Schon mehrfach wurden Staaten in solchen Fällen aber von der Konferenz nur kritisiert. Sanktionen gab es bisher nicht.

Zuletzt hatte sich die Mongolei geweigert, Putin bei einem Besuch in dem Land festzunehmen. Dies soll bei der kommenden Vertragsstaatenkonferenz Anfang Dezember in Den Haag Thema sein.

© dpa
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