Briefwahl ist in
Die Corona-Pandemie hatte viele Auswirkungen. Dazu gehört unter anderem die Entwicklung bei den Briefwählern in Deutschland. Dass deren Anteil steigt, konnte man schon bei den letzten Landtagswahlen sehen. In Baden-Württemberg kletterte die Quote von 21,1% auf 51,5%, in Rheinland-Pfalz von 30,6% auf 66,5% und in Sachsen-Anhalt von 13,7% auf 29,1%.
Insofern ist zu erwarten, dass auch bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 mehr Wähler ihre Stimme per Brief abgeben. Beim letzte Urnengang 2017 waren es noch 28,6%. Das bedeutet für die Parteien natürlich, dass die klassische Herangehensweise mit der „heißen Phase“ wenige Wochen vor der Wahl nicht mehr ausreicht. Vielmehr gilt es die Bürger längerfristig bei der der Stange zu halten. Insofern fällt auf, dass auf Facebook schon seit dem Frühjahr vermehrt gesponserte Links der Parteien auftauchen.
Wahl-O-Mat 2021 statt Studium der Parteiprogramme
Trotzdem dürfte noch viele Wähler unentschlossen sein. Da ist es hilfreich, dass das Netz nicht nur die übliche Parteienwerbung, sondern auch Entscheidungshilfen wie den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung bietet. Schließlich es gibt viele und auch komplexe Themen, über die in Deutschland diskutiert wird, wie z.B. Corona, Klimaschutz, Einwanderung oder Digitalisierung. Welche Positionen die einzelnen Parteien vertreten, steht natürlich in ihren Programmen., aber wer hat schon Lust sich teils über 100 Seiten durchzulesen, die vor Allgemeinplätzen nur so strotzen? Der Vorteil des Wahl-O-Mat liegt darin diese Thesen zu verknappen und eine schnelle Übersicht zu bieten. Die Anwendung gibt es als App oder auch im Netz unter www.wahl-o-mat.de.
Wie funktioniert der Wahl-O-Mat 2021?
Die Handhabung ist denkbar einfach. Es werden 38 Fragen zu aktuellen Themen gestellt, die mit „Stimme zu“, „Stimme nicht zu“ oder „Neutral“ beantwortet werden können. Hierzu zählen unter anderem Fragen zum Thema Digitalisierung, wie z.B., ob eine nationale Steuer auf digitale Dienstleistungen erhoben werden soll. Auch die Frage nach der Einführung einer Gesichtserkennung bei Video-Überwachung wird gestellt. Spätestens seit Corona erscheint zudem die Frage nach einem Homeoffice-Recht für Arbeitnehmer absolut berechtigt.
Auch ein Überspringen von Fragen ist beim Wahl-O-Mat möglich. Themen, die besonders wichtig erscheinen, können markiert werden und werden dann doppelt gewichtet. Im letzten Schritt entscheiden sich die Nutzer für die Parteien, die bei der Auswertung berücksichtigt werden sollen. Die im Bundestag vertretenen Parteien stehen dabei ganz oben. Weiter unten folgen Partien wie Freie Wähler, ÖDP oder Volt, die derzeit unter der 5%-Hürde rangieren.
Wahl-O-Mat: Hilfreich, aber simpel
Anhand der Antworten und der gewählten Schwerpunkte ermittelt der Wahl-O-Mat schließlich, welche Partei am besten zum jeweiligen User passt. Ist man sich bei einem Punkt unsicher, können die jeweiligen Stellungnahmen der Parteien zu den einzelnen Thesen helfen. Ich muss sagen, dass ich genau diese Funktionen im Selbsttest mehrfach ausprobiert habe, weil mir das Endergebnis die aus meiner Sicht „falsche Partei“ ausgespuckt hatte. Änderte man jedoch einige Antworten und verschob Doppelgewichtungen, ergab sich schnell eine andere Platzierung, die realitätsnäher erschien.
So hilfreich der Wahl-O-Mat auch ist, seine einfache Gestaltung hat auch ihre Schattenseiten. Komplexe Themen wie etwa das Wahlrecht werden oft auf eine einzige These reduziert. Zudem konzentrieren sich gerade kleine Parteien gern auf ein oder zwei Themen wie Umweltschutz oder Rechte älterer Menschen. Sind dem Wähler genau diese Themen wichtig, gibt es eine hohe Übereinstimmung mit diesen Partien, während sie bei der Präferenz für andere Themen schnell in den Hintergrund rücken. Wer mit dieser Vorgehensweise nicht glücklich ist, kann alternative Angebote wie den Wahl-Kompass nutzen.
Wahl-Kompass und Tinder für Wähler
Der Wahl-Kompass wurde von der Universität Münster entwickelt und ähnelt in seiner Aufmachung an einen klassischen Navigationskompass. Auf der Längsachse wird hier jedoch nicht nach Nord und Süd, sondern zwischen progressiv-ökologischen und konservativ-traditionellen Positionen unterschieden. Die Querachse stellt Positionen, die auf eine stärkere Umverteilung oder eine stärkere Eigenverantwortung setzen, gegenüber. Nach der Beantwortung von 30 Fragen errechnet der Wahl-Kompass eine individuelle politische Position. Darüber hinaus wird auch ein Ranking berechnet, das die prozentuale Übereinstimmung mit den Parteien zeigt, so wie es auch beim Wahl-O-Mat üblich ist.
Der WahlSwiper ist eine im Stil der Dating-App Tinder entwickelte Anwendung, bei der man seine Meinung zu verschiedenen Thesen per Wischbewegungen äußert. Der wesentliche Unterschied zum Wahl-O-Mat ist jedoch, dass nicht alle Parteien in der Auswertung vertreten sind, die bei der Bundestagswahl antreten. Auch eine neutrale Antwort ist nicht möglich. Dadurch ergaben sich gegenüber dem klassischen Wahl-O-Mat bei meinem Selbsttest doch deutliche Verschiebungen im Partien-Ranking. Die WahlSwiper-App ist für Android und iOS oder im Browser unter voteswiper.org verfügbar.
Themenspezifische Entscheidungshilfen
Neben den Anwendungen, die versuchen möglichst viele Themen abzudecken, gibt es auch Angebote, die den Fokus auf ein bestimmtes Thema legen. Sehr interessant im Hinblick auf den eigenen Geldsäckel ist der Steuer-O-Mat des Instituts der deutschen Wirtschaft. Zudem haben Klimaallianz, NABU und German Zero den Klimawahlcheck 2021 ins Leben gerufen, bei dem es vor allem um das Thema Klimaschutz geht. Der Sozial-O-Mat der Diakonie Deutschland beschäftigt sich mit sozialen Themen. Beim Agrar-O-Mat beherrschen landwirtschaftliche Themen die Agenda.
Egal, ob Sie nun den Wahl-O-Mat oder ein alternatives Angebot nutzen, am wichtigsten ist überhaupt eine Wahlentscheidung zu treffen. Das funktioniert für die Zweitstimme auf manchen Plattformen recht gut. Für die Direktkandidaten, die bei der Bundestagswahl mit der Erststimme bestimmt werden, gibt es allerdings keinerlei Online-Entscheidungshilfen. Hier hilft nur das Programm der Kandidaten online zu studieren oder eine Wahlkampfveranstaltung zu besuchen.