Olaf, der Visionär
Normalerweise ist Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht gerade für Visionen, sondern für die „schwarze Null“ bekannt, mit der er die Sparpolitik seines CDU-Vorgängers Wolfgang Schäuble fortsetzt. Doch nun, da der früher als „Scholzomat“ verspottete Politiker wegen Corona plötzlich Spendierhosen trägt, wankt auch sein Image des spröden Zahlenjongleurs. „Was wir jetzt brauchen, ist für lange Zeit eine neue Normalität“, so der Minister in der ARD. Solange es weder Therapien noch Impfstoffe gebe, müsse man lernen, mit dem Virus zu leben.
Die „neue Normalität“ hat schon längst begonnen. Das sieht man nicht nur an den mittlerweile in Deutschland obligatorischen Atemschutzmasken in Bus, Bahn und Supermarkt. Unser alltägliches Verhalten hat sich innerhalb kürzester Zeit geändert. Und ganz nebenbei ist die bis dato eher schleppend verlaufende Digitalisierung auf der Überholspur.
Karte statt Bargeld
In der alten Bundesrepublik definierte man sich gern über die harte D-Mark und auch in Euro-Zeiten haben die Bundesbürger gern Scheine und Münzen in der Börse. Doch nun muss die Liebe der Deutschen zum Bargeld wegen Corona darben. In der Bundesrepublik werden mittlerweile mehr als die Hälfte aller Girocard-Bezahlungen kontaktlos erledigt. Im Dezember 2019 lag die Quote noch bei mickrigen 35%.
Und der Trend dürfte sich noch verstärken. Noch ist das Bezahlen in den meisten deutschen Städten bis 25 Euro ohne PIN möglich. Dieses Limit wurde in ein paar Regionen bereits auf 50 Euro erhöht – eine Zahl, die demnächst überall in Deutschland gelten soll. Die Smartphone-Bezahldienste Apple Pay und Google Pay sollen noch im Laufe des Jahres nicht nur für Kredit- und Debit-Karten, sondern auch für die populären Girokarten (die früheren ec-Karten) verfügbar sein.
Deutschlands Händler tragen den neuen Bedingungen bereits Rechnung: Dienstleister wie SumUp oder Bezahlexperten.de, die Komplettlösungen für Karten-Terminals anbieten, können sich vor Anfragen kaum retten. Gerade kleine und mittlere Betriebe, die bis dato maximal die Zahlung per Girocard angeboten haben, möchten ihre Kunden das kontaktlose Bezahlen ermöglichen und so diese ebenso wie ihre Mitarbeiter vor einer möglichen Ansteckung schützen.
Online-Shopping statt Fußgängerzone
Zwar sind Deutschlands Shopping-Meilen wie z.B. die Düsseldorfer Schadowstraße wieder gut gefüllt. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Amazon & Co die großen Gewinner der Krise sind, denn laut einiger Sozialpsychologen werden die Menschen auch in der nächsten Zeit dazu tendieren den stationären Handel nicht mehr so aufzusuchen wie vor der Krise. Die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit mehr Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit werden dafür sorgen, dass die Menschen intensiver die Preise vergleichen, was ebenfalls für den Online-Handel spricht.
Interessant ist auch, was die Deutschen so in Corona-Zeiten im Internet bestellen. So scheinen derzeit Brotbackmaschinen einer der Verkaufsschlager im Netz zu sein – eigentlich nur logisch, wenn man bedenkt, wie sehr die Bundesbürger zuletzt gerade Mehl hamsterten. Auch das bitter benötigte Klopapier wird gern online bestellt, weil die Bestände in Drogerien und Supermärkten immer so schnell ausverkauft sind.
Facebook statt Kaffeekränzchen
Auch die Zahl der sogenannten „silver surfer“ wird wegen Corona zunehmen. Ältere Menschen sind die Hauptrisikogruppe und werden auf längere Sicht mehr auf sich achten müssen, wenn sie außerhalb ihrer vier Wände unterwegs sind. Außerdem ist das Internet sicherlich der beste Ort sich über Corona zu informieren, wenn man nicht gerade irgendwelchen Verschwörungstheorien erliegt.
Ganz wichtig ist für die Senioren in Zeiten der Corona-bedingen Kontakteinschränkungen nicht zuletzt die soziale Komponente, denn die sozialen Medien helfen mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. Das bekommt auch Facebook zu spüren. Zwar verkauft man sich dort gern als hip und trendy, doch in Wahrheit kehren immer mehr Jüngere Facebook den Rücken. Dafür rücken nun die Senioren nach. Allzu sehr grämen wird sich Marc Zuckerberg jedoch nicht, wandern die jungen Ex-Facebook-Nutzer zu WhatsApp und Instagram über und bleiben insofern weiter Kunden des Facebook-Konzerns.
Home Office statt Stromberg-Verschnitt
Die Erfahrungen mit dem durch Corona erzwungenen Home Office sind weitgehend gut, aber die Arbeitgeber sperren sich gegen die regelmäßige Einrichtung von Arbeitsplätzen in den Wohnungen ihrer Angestellten, weil sie Kosten für die Ausstattung fürchten. Vielleicht ist das auch nur eine schnöde Ausrede. Die real existierenden Vorbilder des von Christoph Maria Herbst so wunderbar gespielten TV-Bürochefs Bernd Stromberg warten nur darauf, dass ihre Opfer zurück ins Büro kommen, wo sie den Schikanen und kleinen Bosheiten ihres Team-Leiters schutzlos ausgeliefert sind.
Scherz beiseite! Die FDP fordert das Recht auf wenigstens einen Home-Office-Tag pro Woche schon seit langem. Nun sieht man das in anderen Parteien genauso, zumal mehr Home Office weniger Pendlerverkehr und mehr Umweltschutz bedeutet. Schon jetzt kann man die positiven Effekte auf das Klima spüren. So darf ich mich an klarem Sternenhimmel bei Nacht und lautem Vogelgezwitscher bei Sonnenaufgang erfreuen, obwohl ich mitten in der Stadt wohne.
Licht am Horizont
Corona hat viel Schlechtes gebracht: Krankheit, Tod, verzweifelte Angehörige und eine nicht geringe Zahl von Internet-Betrügereien. Es gibt aber auch Gutes: Ein Innehalten und Nachdenken über den Status quo, viel sozialer Zusammenhalt trotz physischer Distanz und nicht zuletzt eine ungewöhnliche Flexibilität im Denken. Nichts ist so sicher wie der Wandel und insofern sollte wir das Virus nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance für unsere Weiterentwicklung begreifen.