Erst eine Idee, nun offiziell im Einsatz
Wer erinnert sich in diesen freudlosen Corona-Zeiten nicht gern zurück an die unbeschwerten Neunziger? Der kalte Krieg war vorbei, Deutschland wiedervereint und die Fantastischen Vier rappten Songs eher seichteren Inhalts wie „Die da?“ oder „MfG – mit freundlichen Grüßen“. Im Jahr 2020 wollten die „Fanta 4“ ihr 30-jähriges Band-Jubiläum feiern, doch Corona bremste sie jäh aus. Die geplante Tournee musste abgeblasen werden und so hatten die Jungs eine Menge ungewollter Freizeit.
Diese nutzte Band-Mitglied Smudo, um sich Gedanken zu machen, wie genau dieses Horrorszenario für die Zukunft auszuschließen sei. Die Lösung heißt Luca und ist eine App zur Kontaktverfolgung von Corona-Infizierten, für die Smudo aktiv Werbung betreibt. Seit dem 14. März 2021 ist die Luca-App, die von der Berliner Firma culture4life entwickelt wurde, mehr als eine private Alternative zur 69 Millionen Euro teuren, aber leider bislang völlig ineffizienten Corona-Warn-App der Bundesregierung.
Als erstes Bundesland setzt nämlich Mecklenburg-Vorpommern die Luca-App höchst offiziell ein, damit Geschäfte, Gaststätten, Kulturbetriebe, Hotels und Behörden wieder einen einigermaßen normalen Betrieb trotz Corona aufnehmen können. Pikanterweise bauen die Entwickler der staatlichen Corona-Warn-App gerade einige Features in ihre Anwendung ein, die auch Luca auszeichnen, doch die Erweiterung soll frühestens Ostern fertig sein. Das dauert der Landesregierung in Schwerin, aber auch vielen Menschen im stark vom Tourismus abhängigen Mecklenburg-Vorpommern aber offensichtlich einfach zu lange.
Funktionsweise der Luca-App
Doch wie funktioniert die Luca-App und was unterscheidet sie von der Corona-Warn-App der Bundesregierung? Zunächst einmal hat die Luca-App den großen Vorteil, dass sie anders als die Corona-Warn-App keine offene Bluetooth-Schnittstelle benötigt. Zum einen führte diese technische Lösung aufgrund der großen Bluetooth-Reichweite moderner Smartphones immer wieder zu Fehlalarmen, zum anderen ist eine offene Bluetooth-Schnittstelle ein potenzielles Einfallstor für Hacker.
Im Gegensatz zur Corona-Warn-App arbeitet die Luca-App auch nicht mit anonymen Accounts, sondern mit echten Nutzerdaten. Somit ähnelt die Luca-App Lösungen, die 2020 in der Öffnungsphase zwischen Shutdown Nummer 1 und 2 in der Gastronomie zum Einsatz kamen. Allerdings sind Einträge als „Räuber Hotzenplotz“ oder „Aschen Puttel“ nicht möglich. Nutzer der Luca-App müssen ihre echten Kontaktdaten und eine Handynummer eintragen. An die wird eine TAN geschickt, die die Echtheit der Daten bestätigt.
Nach der Registrierung erzeugt die Luca-App wechselnde QR-Codes. Diese werden entweder von Betreibern von Einrichtungen mit Publikumsverkehr oder von Behörden gescannt oder die App-Nutzer scannen ihrerseits beim Besuch einen QR-Code. Jetzt schon funktioniert dies z.B. in Museen, die teils geöffnet sind. Für die Zukunft ist aber natürlich die Ausdehnung auf Konzerte, Theater oder Diskotheken angedacht.
Anschließend werden Nutzer der Luca-App über das sogenannte Geofencing automatisch ausgecheckt, d.h. sie verlassen einen vordefinierten Radius. Tritt ein Corona-Infektionsfall ein, werden alle Besucher z.B. eines Geschäfts informiert, die sich zur betreffenden Uhrzeit dort aufgehalten haben. Parallel werden die Gesundheitsämter informiert, die dann automatisch Zugriff auf die Daten der übrigen Gäste haben. Zusätzlich bietet die App ein Kontakttagebuch für die letzten 30 Tage an.
Gesundheitsämter sind der Schlüssel
Die direkte Anbindung der Gesundheitsämter könnte die Luca-App zum Erfolgsmodell machen. In Mecklenburg-Vorpommern sind alle Ämter angeschlossen, wodurch landesweit eine schnelle Kontaktverfolgung gewährleistet werden kann. Das hat sich das Land 440.000 Euro kosten lassen.
Das ist sicherlich gut investiertes Geld, denn genau dieses Feature bietet die Corona-Warn-App der Bundesregierung nicht. Natürlich spielt dabei wieder einmal der berühmt-berüchtigte deutsche Datenschutz eine Rolle. Dafür hat die Corona-Warn-App einen öffentlich zugänglichen Quellcode.
Darüber hinaus funktioniert die Luca-App nur dann richtig, wenn auch andere Nutzer gewissenhaft an Orten mit Publikumsverkehr einchecken. Das mag in Geschäften oder Konzerthallen gut funktionieren, doch der restliche öffentliche Raum sowie der private Raum werden nicht erfasst. Zwar bietet die Luca-App die Möglichkeit private Events zu erstellen, in die andere Personen per Scan eines erzeugten QR-Codes einchecken können, aber ob man bei einem gemütlichen Abendessen wirklich immer daran denkt?
EU plant Impfausweis zum 1. Juni
Zwar bescheinigen Experten wie der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Stefan Brink, nach rechtlicher und technischer Prüfung, dass die Luca-App „hohe Datenschutz-Standards“ erfülle, doch es gibt auch andere Meinungen. So kritisierte die Datenaktivisten Lilith Wittmann gegenüber der Zeitung „Die Zeit“ die zentrale Speicherung der Nutzerdaten. „In Verbindung mit intransparenten Finanzierungsstrukturen und Geschäftsmodellen würde ich von der App abraten“, so Wittmann.
Zudem besteht die Gefahr, dass die Luca-App dereinst dafür genutzt werden könnte, dass nur noch Geimpfte Zugang zu Konzerten oder Theatern eröffnen könnte. Allerdings dürfte das ab 1. Juni in der Regel vom neuen digitalen Impfausweis der EU erledigt werden. Pünktlich zur Reisesaison sollen damit zumindest Geimpfte wieder sowas wie einen normalen Urlaub verbringen können. Angesichts des nach wie vor lahmen Impf-Tempos in Deutschland dürfte das bei so manch reisewilligem Bundesbürger für einen dicken Hals sorgen.
Zeitsprung von 30 Jahren
In Düsseldorfs Brauhäusern dürfte man indes drei Kreuze machen, falls die Luca-App inklusiver Direktanbindung des örtlichen Gesundheitsamts auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt würde. Kurz vor dem zweiten Shutdown erzählte mir ein Köbes – so heißt der mit blauem Hemd und blauer Schürze ausgestattete Mann, der einem im Rheinland das Bier bringt –, dass man zwar eine hervorragend funktionierende digitale Lösung in Form der QR-Codes an den Tischen installiert habe, das Düsseldorfer Gesundheitsamts aber die Übersicht aller ein- und ausgecheckten Gäste nur via Fax entgegennehme.
Also müssten erst einmal alle Listen ausgedruckt werden, um dann stundenlang gefaxt zu werden. Da das Gesundheitsamt Luftlinie keine drei Kilometer von der Düsseldorfer Altstadt entfernt ist, kann man sich vorstellen, dass man die wertvollen Dokumente genauso gut mit der Schubkarre dort abladen könnte und es würde schneller gehen.
Ich musste laut lachen, aber eigentlich ist es eher traurig, dass man aus Bräsigkeit auf eine Vorgehensweise wie anno 1991 setzt anstatt die Geschwindigkeit der digitalen Datenübermittlung zu nutzen. Damals brachten die „Fanta4“ übrigens ihr erstes Album heraus. Der Name: „Jetzt geht’s ab“. Wollen wir es hoffen, denn eine rasche Umstellung aller Gesundheitsämter auf digitale Datenerfassung wäre einer modernen Wirtschaftsnation wie Deutschland würdig.