Aufreger Umweltspur
In der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens regte die Bürger in den letzten beiden Jahren wohl nichts so sehr auf wie die sogenannten Umweltspuren. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte damit gedroht mit Hinweis auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ein Dieselfahrverbot in Düsseldorf zu erwirken, wenn die Stickstoffoxid-Belastung nicht drastisch abnehmen sollte. Der damals amtierende Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) reagierte auf diese Drohung mit zwei kurzen und einer langen, quer durch die Stadt laufenden Umweltspur.
Die einen nannten es „Bauerntrick“, die anderen eine geniale Idee. Durch die Umweltspuren stauen sich die Autos nicht auf der innerstädtischen Corneliusstraße, wo die offizielle Messstation steht, sondern am Stadtrand. Auf den Umweltspuren sind nur Busse, Taxis, Fahrräder und private Autos mit E-Kennzeichen, also Elektro- und einige Hybrid-Autos zugelassen. Auch ganz normale Verbrenner mit mindestens drei Personen waren zugelassen, um Fahrgemeinschaften zu erleichtern. Der OB durfte mit seinem Dienstwagen, einem „Stinke-Diesel“ mit Stern, ebenfalls über die Spuren düsen.
Natürlich sorgten die Umweltspuren für Entlastung an der Corneliusstraße, aber auch für deutlich mehr Emissionen an Einfallsstraßen wie der Witzelstraße. Erster Unmut regte sich denn auch bei den Bürgern, die bis dato so schön im Grünen gewohnt hatten und nun unter schlechterer Luft zu leiden hatten. Weitere Bürger waren sauer, als die Regelung für die Fahrgemeinschaften gekippt wurde. Fun Fact: Zuvor hatte die Polizei sogar eine Mutter gestoppt, die mit ihren beiden kleinen Kindern auf einer Umweltspur unterwegs gewesen war. Die gute Frau musste tatsächlich eine Strafe zahlen, weil Kinder im Beamtensprech nicht als „Personen“ gelten. Negative Rückmeldungen kamen auch von den zahlreichen Pendlern, dem Handwerk und natürlich den Geschäftsleuten in der Innenstadt.
Der berühmte letzte Tropfen
Dann kam Corona. Die Umweltspuren wurden im März 2020 freigegeben, um möglichst viele Menschen den Umstieg aufs Auto zu ermöglichen und sie vor einer möglichen Ansteckung im ÖPNV zu bewahren. Lustigerweise nahmen die Bürger das Angebot so gut wie gar nicht wahr. Wer konnte, arbeitete im Home-Office und so waren die sonst so überfüllten Straßen Düsseldorfs frei. Als im Mai 2020 wieder mehr Menschen ins Büro zurückkehrten, wurden die Umweltspuren wieder aktiviert. Also wieder der gleiche nervige Stau auf den Einfahrtstraßen!
OB Geisel fand das alles normal und präsentierte eine Studie, wonach die Luftbelastung sich verringert hatte – und führte das auf die „effektiven“ Umweltspuren und weniger auf Corona zurück. Dann kam Geisel auf die Idee für einen sogenannten Pop-Up-Radweg 200.000 Euro auszugeben. Leider verlief dieser monatelang zwischen der Messe und der Altstadt direkt am Rhein und nahm den Autofahrern eine volle Fahrspur weg – und dies, obwohl man an dieser Strecke wunderbar und sicher auf dem Bürgersteig radeln kann. Das war der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und Geisel am 27. September die Wiederwahl kostete.
Moderne Technik statt Verbotskultur
Der neue OB, Stephan Keller von der CDU, gewann die Wahl, weil er die Abschaffung der Umweltspuren versprochen hatte. Nun schwingt zwar am Horizont wieder das zitierte Diesel-Damoklesschwert der Deutschen Umwelthilfe, doch dem will Keller mit einem modernen Verkehrskonzept entgehen. Und das moderne Konzept holt viele Ideen aus der Vergangenheit zurück, für die Düsseldorf einst bekannt war.
Zum einen ist da der Ansatz der grünen Welle. Einst hatte die Landeshauptstadt von NRW die längsten grünen Wellen Deutschlands. Fahrende Autos produzieren nun mal weniger Schadstoffe als stehende. Zum anderen ist da der Ansatz der intelligenten Querverbindungen. Noch heute profitiert die Stadt davon, dass Flughafen, Messe und Fußballstadion quasi direkt nebeneinander liegen und so viel Verkehr aus dem Zentrum heraushalten.
„Back to the roots“ also, aber mit modernen Mitteln. Zum einen soll das öffentlich Verkehrsunternehmen Rheinbahn eine höhere Taktung bei Bussen und Straßenbahnen erreichen und mit der U81 eine neue U-Bahn-Linie als Querverbindung zwischen dem linksrheinischen Düsseldorf und dem Flughafen erhalten. Die digitale Verkehrssteuerung ist jedoch das Herzstück des Projekts. Mit Hilfe von Sensoren, so die Vision, will man Autoverkehrsknotenpunkte, Parkhäuser, Park-and-Ride-Plätze, aber auch den ÖPNV miteinander vernetzen. 5G soll die Übertragung von großen Datenmengen in Echtzeit ermöglichen, so dass Verkehrsströme quasi in Echtzeit umgesteuert werden können.
Google Maps in XXL
Was sich nach Science-Fiction anhört, ist in Wahrheit eine Art Google Maps in XXL. Das populärste Navigationsprogramm in Deutschland lebt ja davon, dass möglichst viele Verkehrsteilnehmer ein Android-Smartphone haben, um möglichst aktuell die schnellste Route zu empfehlen. Dieser Ansatz der anonymisierten Daten wird auch verfolgt, wenn es darum geht Privat-Autos mit der Infrastruktur zu vernetzen. Der eine oder andere mag darauf mit Hinweis auf die Sicherheit seiner Daten keine Lust haben, aber eins ist klar: Erst wenn die Vernetzung so komplett wie möglich ist, kann so eine digitale Verkehrssteuerung wirklich optimal funktionieren.
Die Technik, die dahintersteht, ist bereits fit für den Alltag. Vehicle to Everything, kurz V2X. Wenn 5G erst einmal flächendeckend ausgebaut ist, kann dieser Kommunikationsstandard für den vernetzten Verkehr sein ganzes Potenzial ausschöpfen, aber er funktioniert schon im bereits gut ausgebauten 4G-Mobilfunknetz. Entwickelt wurde V2X von der 5G Automotive Association, einer Initiative von 115 Partnern, zu der Telekommunikations-Konzerne wie Vodafone, aber auch BMW, Daimler, das Fraunhofer-Institut, Ford, Huawei, Qualcomm, Jaguar, Continental und Nokia gehören.
Die Vernetzung via V2X eröffnet ganz neue Möglichkeiten: Ampeln informieren Autos beispielsweise über die Dauer von Grünphasen und Fahrzeuge warnen sich gegenseitig vor Hindernissen und Unfällen auf der Straße. Infos über freie Stellplätze in Parkhäusern und auf der Straße werden von Sensoren ermittelt und in Echtzeit weitergegeben, damit unnötiger Parkplatzsuchverkehr vermieden wird. Rettungskräfte können dank V2X-Technologie im Notfall schneller zum Unfallort gelangen, um dort lebenswichtige Hilfe zu leisten.
Mühsam nährt sich das Eichhörnchen
Das alles wird jetzt schon von Vodafone und seinen Partnern im Rahmen des Pilotprojekts Kooperative Mobilität im digitalen Testfeld Düsseldorf (KoMoD) getestet. Andere Testfahrten finden im 5G Mobility Lab im rheinischen Aldenhoven sowie auf der Autobahn A9 statt.
Wie bei jeder neuen Technologie wird es jedoch Jahre für die Marktdurchdringung brauchen. Doch schon jetzt kann man einige Elemente der digitalen Verkehrssteuerung umsetzen, die ohne die direkte Vernetzung von Privat-Autos auskommen und so für eine bessere Luft, flüssiger fließenden Verkehr und mehr Sicherheit in den Städten führen. Dabei dürften sich einige Augen auf die Bemühungen in Düsseldorf richten.