Marktwirtschaft in geringem Maße
„Deutschland einig Vaterland“ – so hallte es vor 30 Jahren auf den Straßen der DDR. Die Mauer war am 9. November 1989 gefallen und die Mehrheit der DDR-Bürger wollte, ebenso wie die meisten Bundesbürger, die Wiedervereinigung und natürlich die D-Mark. Es spricht denn auch für das besondere Verhältnis aller Deutschen zur D-Mark, dass die West-Währung am 1. Juli 1990 zuerst zu den Menschen im Osten gelangte, bevor erst Monate später am 3. Oktober 1990 die offizielle Wiedervereinigung folgte.
Wer nun meint, die „Ossis“ mussten damals die Marktwirtschaft erst mal lernen und einige hätten sie immer noch nicht verstanden, liegt völlig falsch. Der offiziell rein sozialistische Arbeiter- und Bauernstaat ließ Privatwirtschaft in geringem Maße zu, um Versorgungslücken zu decken. Der gewiefte Alexander Schalck-Golodkowski ging mit seiner Kommerziellen Koordinierung (KoKo) mit dem Segen der SED-Parteiführung auf Devisenfang im Westen und leierte diverse Ost-West-Geschäftsbeziehungen an.
Gutscheintradition im Osten
Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs waren schon lange vor den Aktivitäten der KoKo Gutscheine beliebt. Genauer gesagt geht die Liebe der Deutschen zu Rabattscheinen zurück auf die Gründerzeit, als weite Bevölkerungskreise lesen lernten und damit zu einer interessanten Zielgruppe für Werbemaßnahmen wurden.
In der DDR gab es Gutscheine für alles Mögliche: Für Braunkohlebriketts, Bier, Trinkbranntwein und selbst für die gute Thüringer Rostbratwurst. Auch Besucher aus dem Westen wurden in die ostdeutsche Zettelwirtschaft eingespannt und bekamen Sprit an DDR-Tankstellen nur bei Vorlage spezieller Gutscheine.
Gutscheine zur Kundenbindung
In der alten Bundesrepublik hingegen wurden Gutscheine vor allem zur Kundenbindung eingesetzt. Zwar kamen Karstadt, Kaufhof & Co schon früh auf die Idee Gutscheine für Einkäufe in ihren Häusern als Weihnachtsgeschenk zu platzieren, doch so richtig startete der Gutschein erst nach der Wiedervereinigung durch.
Das hatte nur indirekt mit der Wiedervereinigung als vielmehr mit der zunehmenden Verbreitung schneller Internet-Zugänge zu tun. Im Jahr 2014 überholten die digitalen Gutscheine ihre analogen Vorgänger aus Papier erstmals und sorgen seitdem für immer längere Schlangen nach Weihnachten – beim DHL-Shop um die Ecke, aber auch im ganz normalen Kaufhaus.
Lange Schlangen nach Weihnachten
Nun gut, werden Sie sagen, lange Schlangen nach Weihnachten kennt man ja zur Genüge, denn mit dem Umtausch zu enger Kleider oder einfach nur unliebsamer Geschenke kann es den Menschen ja nicht schnell genug gehen. Weit gefehlt! Der moderne Schenkende von heute schenkt lieber einen Gutschein, und zwar nicht nur für Online-Plattformen wie Amazon, sondern auch gern für traditionelle Geschäfte.
Das hat gleich zwei Vorteile: Zum einen muss man sich nicht allzu viele Gedanken um das Geschenk machen, zum anderen ist so ein Online-Code schnell bestellt und ausgedruckt. Böse Zungen werden behaupten, dass noch weitere Vorteile hinzukommen. Der Gutschein erspart dem Schenker das Gemecker der Beschenkten bei Nichtgefallen. Darüber hinaus wird man die bucklige Verwandtschaft schneller los, weil sie ja alle gleich an den PC oder ins Kaufhaus rennen, um ihre Gutscheine einzulösen.
Turbo gezündet
Es ist schon ein Phänomen. Zwei Drittel der Deutschen – egal, ob Ost oder West oder Mann oder Frau – und lösen ihre Gutscheine schnellstmöglich ein. Allerdings sind diejenigen, die den Turbo gleich nach Weihnachten zünden, gar nicht so schlau, denn die Wirtschaft hat sich schon längst auf dieses Verhalten eingerichtet und senkt die Preise direkt nach Weihnachten kaum oder gar nicht.
Versierte Käufer haben das Objekt der Begierde dagegen lange im Auge und schlagen später zu, wenn sich wirklich satte Rabatte bieten. Bei Kleidung mag das nicht immer so einfach sein, aber die Preise von Elektronikwaren lassen sich online gut beobachten. Dabei hilft Google Shopping oder ein Vergleichsportal wie idealo.de.
Ich muss zugeben, dass ich meinen letzten Gutschein erst Monate später für den Kauf eines neuen Laptops eingelöst habe. Da war es zwar nichts mehr mit weihnachtlicher Atmosphäre, aber dafür hatte ich tatsächlich einiges gespart. Natürlich sind die Schenkerin und ich daraufhin schön essen gegangen – auch eine Methode, um seine Freude über ein gelungenes Geschenk auszudrücken.