Die geplante Abstimmung über eine von der EU-Kommission vorgeschlagene sogenannte Chatkontrolle zur Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder ist kurzfristig vertagt worden. Es gebe nicht die nötige Mehrheit für eine Einigung, so der belgische EU-Ratsvorsitz.
Das ist ein wenig überraschend, denn zuletzt hatte es so ausgesehen, als sei zumindest eine vorläufige Einigung in puncto Chatkontrolle möglich. Eine Abstimmung der Ständigen Vertreter der Mitgliedsländer wurde extra angesetzt, nachdem die EU-Kommission Zugeständnisse an Frankreich gemacht hatte, das den EU-Beschluss zusammen mit Deutschland und anderen Ländern bisher verhindert hatte.
Datenschutz vor Opferschutz?
Ist für die EU also Datenschutz wichtiger als Opferschutz? Nicht wirklich! Vielmehr ist das Problem, dass die Grundlagen für die Chatkontrolle seitens der EU-Kommission äußerst schwammig formuliert waren.
Die Kommission hatte 2022 einen Vorschlag vorgelegt, wonach Internet-Konzern wie Google, Apple oder Meta, zu dem Facebook und WhatsApp gehören, unter bestimmten Umständen verpflichtet werden können, ihre Dienste mit Hilfe von Software nach Inhalten mit sexueller Gewalt an Kindern zu durchsuchen. Kritiker fürchteten wegen der recht ungenauen Definition eine unkontrollierte Überwachung der Kommunikation im Internet.
Nächster Anlauf geplant
Noch ist die Chatkontrolle aber nicht vom Tisch. Die EU-Staaten haben vereinbart, sich demnächst erneut mit dem Thema zu befassen. Allerdings wurde die EU-Kommission damit beauftragt, in einem neuen Entwurf genauer zu definieren, welche Formen von Chatkontrolle bei welchen Anlässen in welchem Umfang erlaubt sein sollen.
Während Frankreich nun eher dazu tendieren zu scheint, die Chatkontrolle durchzuwinken, bleibt der Widerstand aus Deutschland ungebrochen. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, auch künftig gegen die Chatkontrolle stimmen zu wollen.
„Die Chatkontrolle lehnen wir ab“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Deutschland werde im Rat deshalb mit Nein stimmen. Bundesjustizminister Marco Buschmann warnt vor dem anlasslosen Ausspähen privater Online-Chats. Eine solche Chatkontrolle sei „mit einem liberalen Rechtsstaat nicht vereinbar“, schreibt der FDP-Politiker auf X.
Technische Umsetzung
Es gibt aber nicht nur rechtliche Bedenken gegen die EU-weite Chatkontrolle zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder. Auch die technische Umsetzung dürfte sich schwierig gestalten.
Bislang sind Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp oder iMessage nämlich Ende-zu-Ende-verschlüsselt und garantieren den Nutzer somit ein Höchstmaß an Privatsphäre. Selbst Geheimdienste können deshalb die Kommunikation über Instant-Messaging-Dienste kaum effektiv überwachen.
Die EU-Kommission hat in ihrem ersten Entwurf auch mit Absicht nicht formuliert, wie genau diese Ende-zu-Ende-Verschlüsselung technisch teilweise aufgehoben werden soll. Die Möglichkeiten änderten sich einfach zu schnell, heißt es aus Brüssel.
Nicht EU-Anbieter mauern
Die US-Konzerne Meta mit den Diensten Facebook und WhatsApp, Apple mit iMessage und Google mit Google Messages fallen dank ihrer in Irland beheimateten Tochtergesellschaften zwar sehr wohl unter eine mögliche EU-weite Chatkontrolle, doch nicht alle relevanten Anbieter von Instant-Messaging-Diensten haben einen Sitz in der EU, so z.B. die Schweizer Firma Threema oder das in Dubai ansässige Unternehmen Telegram.
Genau diese Anbieter werben gerade damit, dass ihre Instant-Messaging-Dienste besonders viel Datenschutz bieten. Dieser ist gewährleistet, weil weltweit eine Vielzahl von Rechenzentren genutzt werden.
Das macht Hacker-Angriffe schwer, ist aber auch in der aktuellen Situation von Vorteil, da die meisten Rechenzentren außerhalb der EU stehen. Threema und Telegram können also schwerlich von der EU gezwungen werden, eine Chatkontrolle durchzuführen.
Druck durch öffentliche Meinung
Es bleibt also zu hoffen, dass der Kelch an uns EU-Bürgern noch einmal vorbeigeht. Es gibt Gott sei Dank genügend Druck durch die öffentliche Meinung und Initiativen, die versuchen, die Einführung der Chatkontrolle zu verhindern. Zur Initiative „Chatkontrolle stoppen!“ zählen renommierte Organisationen wie der Chaos Computer Club, der Deutsche Fachjournalisten-Verband oder die Giordano-Bruno-Stiftung.
Sie plädieren dafür, die für die Errichtung einer wirksamen Chatkontrolle nötigen Gelder lieber in Prävention und Opferschutz zu investieren. Gleichzeitig sollen die Bürgerrechte und dabei insbesondere die freie Meinungsäußerung weiter geschützt werden.