Die Spitzen von CDU und SPD in Hessen loten seit Mittwoch bei Koalitionsverhandlungen die Basis für ihre geplante gemeinsame Landesregierung aus. In den Sondierungsgesprächen sei ein sehr stabiles Vertrauensverhältnis gewachsen, sagte Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) zum Auftakt in Wiesbaden. Es seien Gespräche «auf Augenhöhe» gewesen.
Der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Kaweh Mansoori sprach ebenfalls von «konzentrierten und vertrauensbildenden» Sondierungsgesprächen. Ziel sei nun eine stabile Regierung für Hessen, die die Alltagsprobleme der Menschen in den Mittelpunkt der Politik bringe, bekräftigte Mansoori. «Es gibt gigantische Herausforderungen und große Erwartungen der Menschen», betonte der SPD-Bundestagsabgeordnete. Er sei sich sicher, dass CDU und SPD mit ihrer starken kommunalen Verankerung dieser Herausforderung gewachsen seien.
Die CDU hatte die Landtagswahl am 8. Oktober deutlich gewonnen und konnte sich einen Partner für die künftige Regierung auswählen. Im Anschluss der rund fünf Wochen dauernden Sondierungsgespräche hatte Rhein den Grünen nach knapp zehn Jahren schwarz-grüner Regierungszeit einen Korb gegeben.
Dem bisherigen Zeitplan zufolge soll der Koalitionsvertrag bis spätestens Mitte Dezember in trockenen Tüchern sein. Am 16. Dezember wollen CDU und SPD parteiintern über das Papier abstimmen. Die konstituierende Sitzung des neuen Landtags ist am 18. Januar 2024.
Es werde mit 15 Verhandlungsgruppen in die Beratungen gegangen, erläuterte Rhein. Es seien Vertreter aller politischen Ebenen eingebunden - von den Kommunen über Landtag und Bundestag bis hin zum Europaparlament. «Wir bauen auf unser Eckpunktepapier auf», sagte Rhein.
In einem gemeinsamen Papier mit zehn Punkten bekennen sich die möglichen Koalitionäre unter anderem zur Begrenzung der Migration. Geplant sind zudem zusätzliche Stellen für die Polizei, eine finanzielle Unterstützung für das erste selbst genutzte Eigenheim sowie ein «Aktionsplan gegen Einsamkeit». Es soll ein eigenes Ministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie Weinbau, Jagd und Heimat geschaffen werden.
Bei wichtigen sozialdemokratischen Positionen wie Bildungsgerechtigkeit und der Forderung nach bezahlbaren Wohnungen fänden sich sozialdemokratische Positionen im Sondierungspapier wieder, sagte Mansoori. Es sei völlig klar bei dem Kräfteverhältnis, dass dort «mehr CDU drinsteht». «Aber das Papier trägt eine klare sozialdemokratische Handschrift», sagte Mansoori.
Vor dem Start der Koalitionsverhandlung warnte die Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève die SPD vor großen Risiken. Ministerpräsident Rhein habe signalisiert, dass seine CDU ihre starke Position nutzen wolle, um die Landespolitik in ihrem Sinne zu gestalten, erklärte die Expertin. Dafür suche die CDU einen Juniorpartner, der aber nur bedingt Einfluss ausüben könne.
«Das kann also keine Partnerschaft auf Augenhöhe werden», erläuterte die Gießener Professorin, die das Ergebnis der hessischen Landtagswahlen im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert hat. «Für die SPD besteht das Risiko darin, dass sie schmerzhafte Zugeständnisse machen muss und gleichzeitig nur wenig eigene Projekte realisieren kann.»
Die CDU sei in einer komfortablen Verhandlungsposition, urteilte de Nève. Von entscheidender Bedeutung werde sein, ob es der SPD dennoch gelinge, etwa in der Bildungspolitik und bei den Themen Mobilität und Wohnen auch Teile ihrer Forderungen im Koalitionsvertrag zu platzieren. «Selbst wenn das Machtgefälle zwischen den beiden Verhandlungspartnern groß ist, wird dennoch auch die CDU Zugeständnisse machen müssen», erläuterte de Nève.
Die CDU war mit 34,6 Prozent als deutliche Siegerin aus der Landtagswahl hervorgegangen. Im Vergleich zur vorangegangenen Abstimmung 2018 konnten die Christdemokraten um 7,6 Prozentpunkte zulegen. Zweitstärkste Kraft im Landtag ist künftig die AfD, die ihr Ergebnis um 5,3 Prozentpunkte auf 18,4 Prozent verbessern konnte.
Die SPD bekam 15,1 Prozent der Stimmen (minus 4,7 Prozentpunkte), die Grünen 14,8 (minus 5 Prozentpunkte). Die FDP schaffte mit 5,0 Prozent (minus 2,5 Prozentpunkte) knapp den Wiedereinzug in das Landesparlament. Die Linken scheiterten mit 3,1 Prozent (minus 3,2 Prozentpunkte) an der Fünf-Prozent-Hürde und sind nicht mehr im Landtag vertreten.