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S-Bahn-Unglück: Bewährung und letztes Wort unter Tränen

Zwei S-Bahnen krachen ineinander. Ein junger Mann stirbt, dutzende Menschen werden verletzt. Nun ist der Lokführer verurteilt worden - er kann das Gericht aber als freier Mann verlassen.
Prozess um S-Bahn-Unglück
Der Angeklagte (M) steht vor Prozessbeginn mit seinen Anwälten Stephan Beukelmann (r) und Mariana Sacher im Gerichtssaal. © Sven Hoppe/dpa

Zwei Jahre auf Bewährung - der Lokführer, der den tödlichen S-Bahn-Unfall von Schäftlarn verursacht hat, kann sein Leben als freier Mann weiterführen. «Die Folgen dieses Unfalls werden den Angeklagten den Rest seines Lebens belasten und begleiten», begründete Richterin Nesrin Reichle am Donnerstag die Entscheidung des Schöffengerichts in München zum Verzicht auf eine Vollstreckung der Haftstrafe. Der 56-Jährige habe grob pflichtwidrig gehandelt, sagte Reichle. Seine Sozialprognose sei jedoch günstig, er habe eine neue Arbeitsstelle gefunden - und er habe tiefe Reue und Einsicht gezeigt. «Er hat eingeräumt, dass es ein fataler Fehler war.» Neben den Bewährungsauflagen muss er 180 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Der Mann war am 14. Februar 2022 trotz eines rotes Signal am S-Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn losgefahren und hatte dabei weitere Vorschriften missachtet. Der Zug kollidierte mit einer entgegenkommenden S-Bahn. Ein 24 Jahre alter Mann starb, dutzende Menschen wurden verletzt.

Es ist mehr als deutlich: Das hat der Mann nicht gewollt. Unter Tränen entschuldigte sich der Lokführer. «Es tut mir alles so wahnsinnig leid und ich würde es am liebsten ungeschehen machen.» Und unterbrochen von Schluchzen: «Ich kann mich nur entschuldigen bei allen, die zu Schaden gekommen sind. Es tut mir leid.»

Die Staatsanwaltschaft wollte den Mann hinter Gitter bringen; sie hatte zwei Jahre und neun Monate Haft verlangt. Der Triebfahrzeugführer habe gröbst pflichtwidrig gehandelt, sagte die Staatsanwältin. «Er wusste, dass er nicht einfach hätte losfahren dürfen.» Zu seinen Gunsten wertete sie sein Geständnis und sein aufrichtiges Bedauern. «Dass er das Geschehen zutiefst bereut, das war und ist ihm auch heute anzusehen.» Ob die Anklagebehörde Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt, ließ eine Sprecherin zunächst offen.

Verteidiger Stephan Beukelmann hatte auf eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten plädiert. Sein Mandant habe Fehler gemacht, er stelle sich jedoch seiner Verantwortung.

Das Gericht sprach den Mann wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung in 51 Fällen sowie vorsätzlicher Gefährdung des Bahnverkehrs schuldig. Es sei ein Sachschaden von sieben Millionen Euro entstanden, sagte die Richterin. Zudem sei das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentlichen Verkehrsmittel zumindest erschüttert worden. Bis Ende August nächsten Jahres muss der Mann 180 Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten. Die Auflage solle auch ihm helfen, mit der Sache abzuschließen, sagte die Richterin.

Der Angeklagte, ein gelehrter Dreher, hatte erst ein dreiviertel Jahr vor dem Unfall die Prüfung zum Treibfahrzeugführer abgelegt - und damit endlich den Traumberuf seiner Kindheit ergriffen. Vor Gericht berichtete er vom frühen Tod des Vaters, von seinem Versuch der Selbstständigkeit, von einer folgenden Insolvenz, bei der er alles verlor - um dann endlich Lokführer zu werden.

«Dass mein Traum so schnell endet» - das sei sehr schwer für ihn, sagte er. Jetzt trägt er Briefe aus. Seit Jahresbeginn habe er als Briefzusteller einen Arbeitsvertrag - unbefristet, «wenn ich die Probezeit bestehe». Der Unfall hatte dem ebenfalls schwer verletzten Mann auch psychisch zugesetzt, er ist bis heute in psychotherapeutischer Behandlung.

Sein Anwalt Beukelmann sagte, sein Mandant habe für seinen Beruf gebrannt und eine Bilderbuchausbildung hingelegt. Bei dem Unfall sei er weder alkoholisiert gewesen noch habe er unter Drogen gestanden. Er habe nicht vorsätzlich, aber fahrlässig gehandelt. Beukelmann sprach von einem «Augenblicksversagen». «Wir wissen nicht, warum er das tat.»

Der Mann hatte am Unglückstag den Zug mit der Nummer 6785 gefahren und sich zunächst vor dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn über eine Zwangsbremsung wegen zu hohen Tempos hinweggesetzt. Nach dem Ein- und Aussteigen der Fahrgäste fuhr er trotz eines roten Haltesignals los - und hebelte die darauffolgende erneute automatische Zwangsbremsung aus. Die in diesem Fall nötige schriftliche Genehmigung des Fahrdienstleiters zur Weiterfahrt holte er nicht ein, sondern fuhr wieder los.

Die Frage, warum der Lokführer all das tat, blieb im Prozess letztlich ungeklärt. Er hatte in dem Verfahren angegeben, er könne sich an den Unfall nicht erinnern. Er wisse nicht, warum er sich so verhalten habe. Es sei ihm unerklärlich, wie das geschehen konnte.

Auf der eingleisigen Strecke kam die verspätete S-Bahn mit der Zugnummer 6776 aus München entgegen. Deren Lokführer erhielt Rot und leitete eine Schnellbremsung ein. Sein Zug kam nach zusätzlicher Zwangsbremsung zum Stehen. Als der junge Lokführer noch mit dem Fahrdienstleiter telefonierte, um nach den Gründen zu fragen, tauchte aus einer Kurve die andere S-Bahn auf. Der angeklagte Lokführer leitete noch eine Schnellbremsung ein, doch das reichte nicht mehr. Die Triebfahrzeuge krachten ineinander.

Im Gerichtssaal verfolgte auch die bei dem Unfall verletzte Christine Kammermeier den Prozess. Sie sprach von einem guten Urteil für den Lokführer. «Er ist sowieso bestraft für sein Leben.» Sie steige weiter in die S-Bahn. Nur wenn sie an der Unglücksstelle vorbeikomme, habe sie ein mulmiges Gefühl. Von der Bahn allerdings hätte sie sich damals nach dem Unfall «ein bissel mehr Herzenswärme» für die Opfer erwartet.

© dpa ⁄ Sabine Dobel, dpa
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