Damit ich nicht ständig auf mein Handy blicke, nur um zu erfahren, wie spät es ist, plane ich seit Monaten eine Armbanduhr zu kaufen. Das ist eine aufwändige Geschichte. Uhren sind heutzutage so groß wie Wackersteine und das gefällt mir nicht. Bei meiner Suche stieß ich auch auf etwas, das so tut, als sei es eine Kinderuhr: ein hübsch bunter Aktivitäts-Tracker. Ein Aktivitäts-Tracker war bislang ein Statussymbol für Erwachsene, die ihre Fitness gerne durch einen Computer am Handgelenk überwacht wissen. Ich habe nicht gewusst, dass es so etwas auch für den Nachwuchs gibt. Kinder, dachte ich, sind in der Regel nicht wirklich fitnessbewusst, sie wollen in Ruhe ihren kleinen Vergnügungen nachgehen. Nun, damit ist jetzt Schluss.
Der Kinder-Tracker misst Schritte und aktive Minuten, erinnert an Bewegung und Zubettgehzeit, zeichnet den Schlaf auf und gibt Bescheid über Smartphone-Benachrichtigungen. Die Smartphone-Benachrichtigungen sind wichtig – auch die Kleinen geraten ja leicht in Panik, wenn das Handy kurzzeitig mal nicht am Leibe klebt. Top of the Pops: Eine Kontroll-Funktion ermöglicht es den Eltern, sämtliche kindlichen Aktivitäten zu verfolgen. Ich darf zusammenfassen: alles, was ich jemals mit wohligem Schaudern in grusligen Endzeitfilmen gesehen habe, wird nun tatsächlich ans Handgelenk unschuldiger Kinder gedengelt. Ist das noch Kontrollwahn oder schon Misshandlung?
Zurück zur Uhrzeit: Ich bin niemals pünktlich. Hetze ist nichts für Bohemiens. Zur Boheme darf sich jeder zählen, der sich auch nur einen Hauch unbürgerlich verhält, hin und wieder etwas Bereicherndes für seinen Kopf tut und ansonsten seine Zeit mit sinnlosem, netten Tun verbummelt. Bohemiens sterben zügig aus. Jedermann muss sich in diesen Tagen angestrengt mit seiner Gesundheit beschäftigen, da bleibt keine Muße, lässig herumzutrödeln.
Es ist absolut an der Zeit, sich um das Klima und die Natur zu kümmern. Alles sehr richtig und wichtig. Aber sorgen wir uns bitte auch um das, was die Welt außerdem braucht: unkontrolliertes Lotterleben. Setzen Sie sich nicht unter Druck, Sie können erst morgen damit anfangen.