Vertuschungsvorwürfe gegen früheren Bischof erhärten sich

In der Amtszeit des früheren Trierer Bischofs Bernhard Stein hat es bei sexuellem Missbrauch ein System der Vertuschung und Verharmlosung gegeben. Der Bischof habe das System gestützt, belegt eine Studie.
Der Mond steht im Morgenlicht hinter einem Kreuz auf einem Kirchturm. © Bernd Weißbrod/dpa/Symbolbild

Eine Missbrauchsstudie erhärtet schwere Vertuschungsvorwürfe gegen den früheren Trierer Bischof Bernhard Stein. Er sei «Teil des Systems» gewesen, das Missbrauchtäter gedeckt und geschützt habe, teilte die Unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum Trier (UAK) am Freitag bei der Vorstellung des Berichts der Universität Trier mit. Der Vorwurf der «zumindest moralischen und systemischen Mitverantwortung» treffe auch auf ihn zu. Stein war von 1967 bis 1980 Bischof von Trier.

Die Zahlen von Fällen sexuellen Missbrauchs seien zu Steins Amtszeit «deutlich höher» gewesen als die Fallzahlen während anderer Amtszeiten, teilte die Kommission mit. Nach Auswertung von knapp 500 Akten gebe es mindestens 305 Betroffene und 81 Beschuldigte, von denen 17 Täter den damaligen Verantwortlichen des Bistums bekannt gewesen seien. Die Taten erfolgten an Messdienern in Sakristeien, in den Wohnungen von Pfarrern und Kaplänen sowie in Ferienlagern und Freizeitheimen.

Die historische Studie offenbare «ein dem Grunde nach systematisches und planmäßiges, den mutmaßlichen Täter schützendes Vorgehen durch den Führungskreis des Bistums», teilte die Kommission mit. Die Vorgänge seien grundsätzlich geheim gehalten und mündlich bearbeitet worden, es habe «Ringe des Schweigens» gegeben.

Dabei sei es darum gegangen, «den guten Ruf von Kirche» nicht zu gefährden, hieß es. Das Bistum unter Stein habe wie bereits unter seinem Vorgänger die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft vermieden, «um einen Skandal zu vermeiden».

Wenn Täter strafversetzt wurden, habe es keine «ausreichende Nachkontrolle» am neuen Einsatzort gegeben, die Perspektiven von Betroffenen seien missachtet worden. Viele der Opfer seien «schwerst traumatisiert» worden. «Die Spur beschädigter Lebensschicksale» reiche bis in die Gegenwart. Nach den Akten habe Bischof Stein in keinem Fall mit Opfern gesprochen, es habe keine seelsorgerischen oder anderen Hilfsangebote gegeben.

«Viele haben bei der Verdrängung, Vertuschung und Verharmlosung der Taten mitgewirkt», hieß es in der Stellungnahme der UAK. So konnte sich demnach «eine systematische Aufrechterhaltung des sexuellen Missbrauchsgeschehens etablieren».

Bischof Stein (1904-1993) sei beim Umgang mit elf Missbrauchstätern beteiligt gewesen. Da habe es die gleichen Reaktionen gegeben wie in anderen Fällen: «Von ihm sind der UAK keine Bemühungen bekannt, beim Umgang von Missbrauchsfällen umzusteuern», hieß es. Daher gehe man davon aus, dass er das damalige System gestützt habe.

Er habe bei neun beschuldigten und geständigen Priestern Exerzitien angeordnet, aber nicht konsequent in allen Fällen. Es folgten Strafversetzungen, der Ausschluss aus dem Priesterstand sei aber nur gegen zwei Wiederholungstäter ausgesprochen worden. «In den meisten ihm vorgelegten Fällen schonte Stein die geständigen und überführten Priester», heißt es im Bericht.

«Es bleibt das Resümee, dass durch die zögerliche und wenig entschlossene Verhaltensweise der Bistumsleitung Tätern und Taten kein substanzieller Einhalt geboten wurde», bilanziert das Gremium. Die heutige Bistumsleitung werde aufgefordert, «sich deutlich und glaubwürdig von diesem systemischen Versagen zu distanzieren, deren Ursachen vollständig zu beseitigen und ihre Folge zu mildern».

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann reagierte mit den Worten, der Bericht dokumentiere von unabhängiger Seite, was sich abgezeichnet habe. «Es hat in der Mehrzahl der Fälle keinen ordnungsgemäßen und vor allem keinen betroffenenorientierten Umgang mit den Fällen sexueller Gewalt gegeben», teilte er mit. Einer seiner Vorgänger habe zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern Menschen schwer geschadet. «Das schmerzt mich einmal mehr», sagte Ackermann. Auf das Bild des aufgeschlossenen und beliebten Bischofs falle ein massiver Schatten.

Die Vereinigung der Missbrauchsopfer im Bistum Trier (Missbit) warf Ackermann vor, die Aufarbeitung verschleppt zu haben. «Ackermann muss sofort zurücktreten. Oder möchte er noch die Studie über sein Schaffen und Wirken abwarten, die auch seine Verfehlungen belegen wird?», hieß es. «Ein Schuldeingeständnis und die Offenlegung eigener Fehler sind das Mindeste, das er der Öffentlichkeit schuldet.»

Die UAK aus Betroffenen und Fachleuten ist seit Juni 2021 im Amt. Die Mitglieder sind zunächst für drei Jahre ernannt. Insgesamt soll die Aufarbeitung sechs Jahre dauern - jährliche Zwischenberichte sind vorgesehen. Ziel der Kommission ist es, die Missbrauchsfälle von 1946 bis 2021 zu erheben und zu analysieren, wie Verantwortliche und speziell Bischöfe mit den Tätern umgegangen sind.

Der Bericht zu Bischof Stein sei «eine Art Zwischenbilanz», da weitere Dokumente noch ausgewertet werden müssten. Man habe diesen so frühzeitig veröffentlicht, um einen historischen Hintergrund zu der laufenden Debatte «zur politischen und moralischen Bewertung» von Stein zu liefern. Dabei geht es darum, ob Stein posthum die Ehrenbürgerwürde der Stadt Trier entzogen und ein nach seinem Namen benannter Platz am Trierer Dom umbenannt werden soll.

Nach einem ersten Zwischenbericht der Kommission Ende August sind für den Zeitraum von Anfang 1946 bis Ende 2021 bistumsweit insgesamt 513 Opfer und 195 beschuldigte oder überführte Täter erfasst worden. Zum Bistum Trier gehören knapp 1,3 Millionen Katholikinnen und Katholiken in Rheinland-Pfalz und im Saarland.

© dpa
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