Rund zwei Jahre ist die Ahrflut mit mindestens 134 Toten her. Seitdem läuft die parlamentarische Aufarbeitung, die sich nun dem Ende nähert. Während sich ein Untersuchungsausschuss konkret mit der Rolle von Landesregierung und nachgeordneten Behörden in den Wochen nach dieser konkreten Flut beschäftigte, widmete sich die Enquete-Kommission «Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge» grundsätzlicher dem Schutz vor Extremwettereignissen. Der U-Ausschuss schloss seine Beweisaufnahme Ende April, die Enquete-Kommission hatte ihre letzte Anhörung in der vergangenen Woche. Mitglieder von letzterer sprechen von konstruktiver Zusammenarbeit, bei der Umsetzung der Erkenntnisse herrscht aber nicht nur Einigkeit.
Die Ausschussvorsitzende Lea Heidbreder von den Grünen hofft nach der Fertigstellung des Abschlussberichts darauf, dass Empfehlungen des Gremiums möglichst über Parteigrenzen hinweg umgesetzt werden. «Ziel ist, dass es kein Papiertiger wird», sagte sie und zeigte sich zuversichtlich. «Wenn man so etwas gemeinsam beschlossen hat, macht das ja auch was mit einem», sagte Heidbreder mit Blick auf die Zusammenarbeit in den vergangenen Monaten. Gleichwohl werde es natürlich immer auch ein «Ringen um Lösungen» geben.
Seit Oktober 2021 kam die Enquete-Kommission mit elf Mitgliedern aus dem Landtag und sechs sachverständigen Mitgliedern in der Regel einmal im Monat zusammen. Insgesamt zwölf Anhörungen gab es seit Oktober 2021, 60 Anzuhörende wurden geladen. Bei den Stellungnahmen der Anzuhörenden kamen 750 Seiten zusammen. Drei Mal machten sich die Gremienmitglieder selbst ein Bild von der Situation im Ahrtal, im Juni vergangenen Jahres sowie im Januar und April dieses Jahres.
Was war für Heidbreder die größte Herausforderung? «Das unmöglich Scheinende mitzudenken», sagte sie. Die Ahrflut sei von einem Ausmaß gewesen, das sich kaum jemand habe vorstellen können. An der Kommission sei es, Konzepte zu entwickeln, die bestenfalls in 50 Jahren noch funktionierten. Der U-Ausschuss sei zwar medial präsenter gewesen, auch weil es hier um die Frage von Verantwortung für Fehler gehe. «Nachhaltiger ist aber die Arbeit der Enquete-Kommission», betonte Heidbreder. «Sie wirkt viel stärker in die Zukunft.»
Im November vergangenen Jahres legte die Enquete-Kommission ihren Zwischenbericht vor, außerdem gab es ergänzende und abweichende Stellungnahmen der drei Oppositionsfraktionen. Eine der wichtigsten Empfehlungen des Berichts war die der Gründung einer neuen Landesbehörde für den Katastrophenschutz. Das wird von Innenminister Roger Lewentz (SPD) vorangetrieben, der Kern des Landesamtes soll am Standort Koblenz an der heutigen Feuerwehr- und Katastrophenschutzakademie des Landes geschaffen werden.
Die Kommission habe vor allem im ersten Teil «zielführende Empfehlungen» ausgearbeitet, einige davon habe sich die Landesregierung zu eigen gemacht, sagte der Obmann der AfD-Fraktion, Jan Bollinger, und nennt konkret die Idee der Landesbehörde. «In Bezug auf die Umsetzung gibt es aber noch viel zu tun.»
Die Freien Wähler gingen zu dieser Idee dagegen auf Distanz, und sind das noch immer, wie ihr Obmann, Fraktionschef Joachim Streit, betonte. «Vor allem im Bereich der zukünftigen Organisation des Brand- und Katastrophenschutzes in Rheinland-Pfalz gibt es divergierende Meinungen.» Bevor abschließende Empfehlungen der Kommission vorlägen, schaffe die Landesregierung etwa mit der Schaffung eines Landesamtes Fakten. Nichtsdestotrotz bezeichnet Streit die Arbeit der Kommission als gut. Sie habe Defizite in der bisherigen Arbeit von Brand- und Katastrophenschutz deutlich gemacht und letztlich die Arbeit gemacht, die vom Umwelt- und Innenministerium sowie der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) jahrelang versäumt worden sei.
Auch CDU-Ausschussmitglied Denniks Junk betonte, in vielen Punkten habe in der Kommission Einigkeit bestanden. Doch er sieht ein Problem «von grundlegender Natur», wie er es nannte. Trotz des Zwischenberichts habe sich bisher nur wenig getan. «Es fehlt an Tempo, es fehlt an konkreten Umsetzungskonzepten und vor allem an dafür hinterlegten finanziellen Mitteln», monierte Junk.
Im zweiten Teil der Arbeit der Kommission ging es Heidbreder zufolge vor allem um Wasser und die Probleme, wenn zu viel oder zu wenig davon da sei - mit all den Folgen etwa für Landwirtschaft oder Gesundheit. Künftig müssten beide Themen zusammengedacht werden. Wenn mehr Wasserrückhalt in der Fläche gelinge, könne das zum Hochwasserschutz beitragen und Auswirkungen von Dürrephasen abmildern.
Heidbreder selbst hat zum Thema Umweltpsychologie promoviert, hat sich viel mit Risikokommunikation beschäftigt, was auch in der Enquete-Kommission ein wichtiges Thema war. Kommunikation sei im Katastrophenschutz eminent wichtig, sagte sie. «Entscheidend ist, die Leute mitzunehmen. Die Infrastruktur ist das eine, aber die Leute müssen in der Katastrophe wissen, was sie konkret tun können.»
Ein Experte habe in einer Sitzung klargemacht, dass positives Formulieren von Empfehlungen zielführender sei. «Nicht sagen: Gehe nicht in den Keller, sondern lieber: Gehen sie auf den Dachboden.» Für die Kommunikation mit den Menschen sei das Cell-Broadcasting enorm wichtig. Künftig solle eher über eine App gewarnt werden und nicht parallel auf mehreren. Das sei eine Forderung Richtung Bund. Eine andere werde, bei der Bauleitplanung künftig das Thema Klimawandel und Hochwassergefahren stärker zu verankern. Denkbar sei etwa, dass neben naturschutzrechtlichen Stellungnahmen auch wasserrechtliche Stellungnahmen verpflichtend werden.
Der Abschlussbericht soll Heidbreder zufolge vor der Diskussion im Landtag zunächst am 30. Oktober im Ahrtal vorgestellt werden. Ziel sei, sich in den allermeisten Punkten auf Formulierungen zu einigen. Nach dem «Marathon» der Sitzungen gehe es darum, dass Anliegen des Klimaschutzes stets in den Köpfen blieben - auch Jahre nach den Eindrücken der Flut. Sie sieht in den für den Katastrophenschutz so wichtigen Kommunen ein Umdenken. «Ich habe schon den Eindruck, dass die Kommunen sehr an dem Thema dran sind.» Ein Zukunftsthema seien Hochwasser-Partnerschafen und Kooperationen über kommunale Grenzen hinweg. Eine Überlegung könne sein, solch eine interkommunale Zusammenarbeit verbindlicher zu machen. «Man muss einen Fluss bis zur Mündung denken», sagte sie.