Der Vorsitzende des Landesverbands der jüdischen Gemeinden wünscht sich mehr Sichtbarkeit des Judentums in Rheinland-Pfalz. Trotz einer Zunahme von antisemitischen Straftaten «dürfen wir uns nicht von solchen Leuten beeinflussen lassen», sagte Avadislav Avadiev der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Die jüdischen Gemeinden seien offen für alle Besucher. «Ich würde mir wünschen, dass das Judentum sichtbarer wird.»
Er stelle fest, dass auch ältere Menschen mittlerweile nicht mehr viel über das Judentum und seine Bräuche und Gesetze wissen, berichtete der Landesvorsitzende. Gerade in der heutigen Zeit sei es aber um so wichtiger, den Menschen zu zeigen, wie nah Religionen aneinander stehen.
Wenn die drei monotheistischen Religionen - das Christentum, der Islam und das Judentum - mehr gegenseitig voneinander wissen und das gerade auch an junge Leute weitergeben würden, gebe es auch weniger Radikalisierung, sagte Avadiev. «Wenn man gar nicht pflanzt, dann brauchen wir auch nicht zu erwarten, dass etwas wächst.»
Besonders junge Menschen müsste in den Schulen und bei Veranstaltungen mehr erklärt und auch Geschichtliches an die Hand gegeben werden. Das Wissen über das Judentum, dass es vor dem Holocaust über Nachbarschaften und das Zusammenleben in Städten und Gemeinden gegeben habe, lasse sich aber nicht so schnell wieder aufbauen, erklärte Avadiev. Bis diese Wissenslücke wieder geschlossen ist, werde noch eine Menge Zeit und Arbeit nötig sein.
Die Polizei hat in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr 46 antisemitische Straftaten registriert, im Jahr 2021 waren es 63. Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres wurden laut Innenministerium 43 Fälle gezählt. Diese Zahl könne sich noch durch Nachmeldungen verändern. Die Polizeien des Bundes und der Länder erfassen antisemitische Straftaten als Teil der politisch motivierten Kriminalität im sogenannten «Kriminalpolizeilichen Meldedienst PMK».
Der Vorsitzende des Landesverbands hält derweil eine Zusammenarbeit der Unesco-Welterbestätten in Worms, Speyer und Mainz mit Erfurt in Thüringen für sinnvoll. «Wenn wir zusammenarbeiten, ist das eine Bereicherung. Der Kontakt- und Meinungsaustausch und vielleicht auch ein Zusammentreffen sind natürlich ein Plus.»
Avadiev wies daraufhin, dass es viele Jahre gedauert habe, bis die Schum-Stätten und jetzt auch das jüdisch-mittelalterliche Erbe in Erfurt als Unesco-Welterbestätten anerkannt worden sind. «Das war eine ganz schwierige Arbeit für viele Leute.»
In Rheinland-Pfalz gehe es jetzt darum, das Niveau der Schum-Stätten zu halten. Um die Bedeutung dieser Stätten und die damit verbunden Bräuche und Kultur der Öffentlichkeit zu vermitteln, seien Fachleute notwendig. Dabei seien die jüdischen Gemeinden in der Pflicht. Sie müssten die Städte unterstützten, sagte Avadiev. «Wer soll das sonst machen? Da sind wir in der Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit.»
In Koblenz soll nach Angaben des Vorsitzenden bis spätestens 2026 eine «ganz klassische» Synagoge in der Innenstadt gebaut werden. «Wenn sie Ende 2025, Anfang 2026 oder im Laufe von 2026 fertig wird, wäre ich zufrieden.» Die Planung mit dem Architekten habe bereits begonnen.
Auf dem für die Synagoge schon gekauften Grundstück solle an Chanukka Anfang Dezember ein neunarmiger Leuchter und ein Bauplakat mit einer Skizze aufgestellt werden, kündigte Avadiev an. Das jüdische Lichterfest Chanukka ist ein acht Tage langes Fest zum Gedenken an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 vor Christus.
In Rheinland-Pfalz gebe es derzeit sieben aktive Synagogen in Kaiserslautern, Speyer, Worms, Mainz, Bad Kreuznach, Trier und Koblenz. Dazu kämen weitere Synagogen, die als Gedenkstätten oder für Veranstaltungen genutzt werden, sagte der Landesvorsitzende, der das Amt seit 2014 ausübt.