Erstmals nach dem überraschenden Rücktritt von Thomas Kutschaty als Chef der nordrhein-westfälischen SPD tritt an diesem Dienstag in Düsseldorf die Landtagsfraktion zusammen. Es wird erwartet, dass dort die Frage geklärt wird, ob der 54-jährige Ex-Justizminister sich auch von der Spitze der Fraktion zurückziehen wird. Aus einer Sitzung des Fraktionsvorstands drangen am Montag noch keine belastbaren Einzelheiten nach außen.
Weder für den Landesparteivorsitz noch für einen möglichen Wechsel auf dem Chefsessel der Landtagsfraktion hat bislang jemand offen seinen Hut in den Ring geworfen. Intern wird eher nicht mit einem schnellen personellen Wechsel, sondern mit einer sorgsamen Auswahl gerechnet.
Ein SPD-Urgestein aus dem Führungszirkel mahnte, sich dafür die nötige Zeit zu nehmen, um bei der Landtagswahl 2027 wieder überzeugender aufgestellt zu sein. «Wir haben nur noch einen Schuss», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. Eine Besetzung der Spitzen von Landespartei und Landtagsfraktion mit derselben Person sei angesichts der immensen Herausforderungen, vor denen die trudelnde NRW-SPD stehe, nicht mehr zu empfehlen.
Jeder, der sich bewerben wolle, müsse sich ehrlich fragen, ob er das Format habe, Ministerpräsident und CDU-Landeschef Hendrik Wüst im Landtag Paroli zu bieten, mahnte der SPD-Politiker. Der Regierungschef hatte in der vergangenen Woche bei einer päpstlichen Privataudienz von Rom aus zusehen können, wie sich die SPD zuhause zerlegt.
In Düsseldorf wird das Personalkarussell indes bereits mit diversen Spekulationen in Schwung gebracht. Als Führungspersönlichkeit sowohl für die Partei als auch für die Fraktion wird etwa der angriffslustige Vizefraktionschef Jochen Ott (48) aus Köln genannt. Auch der langjährige Landtagsabgeordnete und Schatzmeister der NRW-SPD, André Stinka (57) aus Dülmen, wird gehandelt.
Ebenso Landesgeschäftsführer Stefan Kämmerling (47) aus Eschweiler, der kürzlich wieder in den Landtag nachgerückt ist und sich in der vergangenen Wahlperiode mit viel Hartnäckigkeit Ruhm als «Chefankläger» der Opposition erarbeitet hatte. Genannt wird auch der Name von Alexander Vogt (44) aus Herne, der schon seit 2010 Landtagsabgeordneter ist, allerdings erst im vergangenen Jahr in die Riege der stellvertretenden Fraktionschefs gewählt wurde.
Die NRW-SPD wird bis zum Parteitag im August übergangsweise von Hamms Oberbürgermeister Marc Herter (48) geführt, der zuvor Kutschatys Stellvertreter an der Spitze der NRW-SPD war. Von 2010 bis 2020 war er auch Mitglied des Landtags - zuletzt ebenfalls als Vizevorsitzender. Es sei aber noch nicht die Zeit, dass «irgendjemand schon jetzt den Hut in den Ring wirft», hatte er vergangenen Freitag gemahnt. Ob er selbst nach den Sommerferien für den Parteivorsitz kandidieren wird, ließ Herter offen.
Als unwahrscheinliche Außenseiter-Option gilt Michelle Müntefering, die im Bundestag sitzt und sich für eine Tandem-Lösung stark macht. Größere Verantwortung auf einem weiblich besetzten Führungsposten wird von manchen auch Vizefraktionsfraktionschefin Lisa-Kristin Kapteinat (34) aus dem Kreis Recklinghausen und der parlamentarischen Geschäftsführerin Sarah Philipp (40) aus Duisburg zugetraut.
Kutschaty war am vergangenen Donnerstag als Chef des größten SPD-Landesverbandes zurückgetreten - gut zehn Monate nach der schweren Wahlniederlage der SPD bei der NRW-Landtagswahl. Auslöser war ein umstrittener Personalvorschlag zur Neubesetzung des Postens der SPD-Generalsekretärin in NRW. Damit konnte er sich im SPD-Präsidium nicht durchsetzen.
Die SPD ist mit 56 Abgeordneten die zweitgrößte Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen nach der CDU (76). Sie ist damit die größte Oppositionsfraktion gegenüber der schwarz-grünen Landesregierung.