Die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen haben im vergangenen Jahr im Zuge der gestiegenen Flüchtlingszahlen so viele Kinder und Jugendliche in Obhut genommen wie schon lange nicht mehr. Die Zahl aller vorläufigen Schutzmaßnahmen stieg im Vergleich zu 2021 um 4353 Fälle beziehungsweise mehr als ein Drittel auf 16.546 Fälle. Das teilte das Statistische Landesamt am Montag in Düsseldorf mit. Eine höhere Gesamtzahl gab es zuletzt 2016 mit 22.193 Fällen. In den fünf Jahren danach waren die Inobhutnahmen durch Jugendämter deutlich gesunken.
Die Schutzmaßnahmen betrafen den Angaben zufolge 2022 in 6529 Fällen Minderjährige, die ohne Begleitung aus dem Ausland eingereist waren. Das war ein Anstieg um 4039 Fälle. Der bisherige Höchststand wurde auch hier 2016 mit damals 11.448 unbegleitet aus dem Ausland eingereisten Minderjährigen verzeichnet, die in NRW in Obhut genommen wurden. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Inobhutnahmen im Jahr 2022 waren das knapp 40 Prozent der Fälle.
Weitere häufige Gründe für das Eingreifen der Jugendämter waren 2022 Überforderungen der Eltern oder eines Elternteils (knapp 26 Prozent) und Anzeichen von Vernachlässigung des Kindes (11 Prozent). Nach Angaben des Statistischen Landesamtes können in einem Fall aber auch mehrere Gründe angegeben werden. Fast zwei Drittel der 2022 unter den Schutz des Jugendamtes gestellten Minderjährigen waren 14 Jahre oder älter.
Das NRW-Familienministerium wies darauf hin, dass seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 auch ganze ukrainische Kinderheime aufgenommen worden seien. Unbegleitete geflüchteten Kinder und Jugendliche würden grundsätzlich bei ihrer Ankunft in NRW von Mitarbeitern der Jugendämter in Augenschein genommen, bevor eine weitere Verteilung innerhalb des Bundeslandes anstehe, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Dabei gehe es insbesondere um den Gesundheitszustand und familiäre Bindungen.
Die Unterbringung könne in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe, bei Gast- oder Pflegefamilien oder im Rahmen selbstständigen Wohnens mit ambulanter Betreuung erfolgen. Die Landesregierung habe im März 2022 den Kommunen angesichts der steigenden Zahlen die Möglichkeit eingeräumt, bei der Unterbringung, Betreuung und Versorgung der jungen Menschen vorübergehend von bestehenden Standards abzuweichen. So könnten Gruppen größer sein, wenn der Schutz der Kinder und Jugendlichen gewahrt bleibe. Das Land beteilige sich finanziell.