Anklage gegen Polizisten: Ermittler sehen keine Notwehr

Lange war unklar: Hat der Jugendliche sich mit einem Messer auf Beamte zubewegt und zur Eskalation beigetragen, bevor er erschossen wurde? Die Ermittler kommen in der Anklage nun zu einem Ergebnis, das die beteiligten Polizisten nicht gut aussehen lässt.
Ein Schild mit der Aufschrift «Polizei» hängt an einem Polizeipräsidium. © Roland Weihrauch/dpa/Symbolbild

Im Fall des von der Polizei erschossenen Jugendlichen sieht die Staatsanwaltschaft Dortmund keine Hinweise darauf, dass der 16-Jährige zuvor mit seinem Messer eine Gefahr für die Beamten dargestellt hatte. «Wir haben keine Notwehr- oder Nothilfelage seitens der Polizisten feststellen können», sagte der leitende Oberstaatsanwalt Carsten Dombert am Mittwoch. Schon der Einsatz von Reizgas und Taser waren demnach unverhältnismäßig.

Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft fünf an dem Einsatz im August 2022 beteiligte Polizisten angeklagt hat. Wie Dombert am Mittwoch mitteilte, haben sich die Beschuldigten nach wie vor nicht zu den Vorwürfen geäußert. Am schwersten wiegt die Anklage gegen den 29 Jahre alten Beamten, der mit der Maschinenpistole auf den Jugendlichen schoss. Ihm wird Totschlag vorgeworfen.

Zwei Polizistinnen (28 und 31) und einem Polizist (32) wird wegen des Einsatzes von Reizgas beziehungsweise Tasers gefährliche Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Gegen den 54 Jahre alten Dienstgruppenleiter wurde Anklage wegen der Anstiftung zur Körperverletzung im Amt erhoben. Laut Dombert wird ihm vorgeworfen, dass er das Vorgehen der Polizei bei dem Einsatz vorgegeben hat, insbesondere geht es dabei um den Einsatz des Reizgases. Der Polizeieinsatz sei unverhältnismäßig gewesen, es sei nicht das mildeste Mittel angewandt worden und sei somit rechtswidrig, sagte Dombert. Der Schütze fasste demnach selbst den Entschluss, die Waffe einzusetzen. Er soll also nicht auf Anweisung geschossen haben.

Die Polizei war am 8. August 2022 zu einer Jugendhilfeeinrichtung gerufen worden, wo der jugendliche Flüchtling aus dem Senegal zunächst gedroht haben soll, sich mit einem Messer zu töten. Der Einsatz lief zunächst als Einschreiten bei einem Suizidversuch. Vor den tödlichen Schüssen wurde der 16-Jährige von der Polizei mit Pfefferspray und Taser beschossen. Eine der zentralen Fragen war, ob sich der Jugendliche mit dem Messer auf die Beamten zubewegt hatte.

So hatte etwa NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kurz nach der Tat zwar volle Aufklärung versprochen, aber auch von einer «ungeheuer schwierigen Lage» für die Beamten gesprochen. Nach Einsatz von Pfefferspray und Taser sei der Jugendliche «immer aufgeregter, ich sag mal angespannter, aggressiver auf die Polizisten zu gerannt. Und in dieser Situation ging es um die Frage: Sticht der zu - oder schießt die Polizei?», sagte er damals dem WDR.

Der Kriminologe Rafael Behr kritisierte am Mittwoch im Gespräch mit dem WDR mit Blick auf Reul, «dass sich die politisch Verantwortlichen immer sofort und ohne Zweifel hinter ihre Polizei stellen und damit glauben, ihnen was Gutes zu tun. Das Gegenteil ist der Fall.» Bei dem Einsatz sei «eine ganze Menge von Dingen schief gelaufen, die nicht alle den Polizisten unmittelbar anzulasten waren», kritisierte er weiter. Es gebe eine «Gesamtatmosphäre in der Polizei, die sich ausrichtet an Terrorismusbedrohungen und Amoklagen», deeskalierende Möglichkeiten stünden nicht ausreichend zur Verfügung. Auch Julia Höller (Grüne) forderte, strukturelle Lehren für die Polizeiarbeit zu ziehen, damit psychische Ausnahmesituationen richtig eingeschätzt und deeskalierende Taktiken berücksichtigt würden.

Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange sagte am Mittwoch, der Einsatz, habe vor allem bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte «Vertrauen beschädigt, das wir wieder herstellen müssen.» Der Einsatz habe «auch in unserer Behörde eine tiefe Betroffenheit ausgelöst. Es sei auch im Interesse der Polizei, dass lückenlos aufgeklärt werde. Er betonte - wie auch Dombert von der Staatsanwaltschaft - dass bis Ende des Verfahrens die Unschuldsvermutung gelte. Gegen die Beamten waren bereits kurz nach dem Einsatz Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Der Schütze wurde suspendiert, die anderen vier innerhalb des Präsidiums versetzt.

© dpa
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