Mit der neuen Leitentscheidung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum verkleinerten Braunkohleabbau ist der Erhalt von fünf Dörfern am Tagebau Garzweiler besiegelt. Das Kabinett hat die 47 Seiten lange neue Leitentscheidung 2023 bereits am Dienstag verabschiedet, wie aus der am Mittwoch veröffentlichten Vorlage für den Landtag hervorgeht. Am Freitag ist dazu eine Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung geplant.
Angesichts des vorgezogenen Kohleausstiegs bis 2030 werden fünf zur Stadt Erkelenz gehörende Dörfer wie zuvor vereinbart vor dem Abbaggern bewahrt, weil die noch zu gewinnende Kohlemenge im Vergleich zur bisherigen Leitentscheidung verringert wird.
Mehr Kohle bleibt im Boden
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) hatten im Herbst 2022 mit dem Energiekonzern RWE einen um acht Jahre vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleförderung bis 2030 vereinbart. Dadurch reduziere sich die abbaubare Kohlemenge um mindestens 280 Millionen Tonnen Kohle. Das entspreche rund 280 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2), die dadurch nicht mehr ausgestoßen würden.
Wieviel Braunkohle tatsächlich noch bis 2030 gefördert und verstromt werde, hänge maßgeblich von den Entwicklungen auf den Energiemärkten ab, heißt es in der Leitentscheidung. Ein möglicher Reservebetrieb von Braunkohlekraftwerken bis Ende 2033 müsste aus dem verkleinerten Tagebau Garzweiler bewerkstelligt werden.
Während die fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich und Berverath sowie drei Höfe gerettet werden können, musste die von Klimaaktivisten besetzte Ortschaft Lützerath aber bereits dem Tagebau weichen. Die Siedlung war Anfang Januar bei einem großen Polizeieinsatz geräumt worden.
Neue Zukunft für verlassene Dörfer
Die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner der fünf erhaltenen Dörfer sind bereits weggezogen. Nun sollen die Umsiedlungen der Leitentscheidung «vorzeitig und sozialverträglich beendet» werden. Frühere Bewohner mit Umsiedlerstatus sowie deren Kinder sollen eine zeitlich befristete Vorkaufsoption bekommen. Dazu sollen die Kommunen entsprechende Verfahren starten. Die Option soll für das frühere, selbst genutzte Wohneigentum gelten. Dazu gehört laut Leitentscheidung auch eine Verpflichtung zur eigenen Nutzung und zur baulichen Entwicklung im Einklang mit den kommunalen Konzepten.
Betroffen sind nicht nur die fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler, sondern auch der ebenfalls leerstehende Ort Morschenich am Tagebau Hambach. Die meisten Häuser gehören dem Energieunternehmen RWE. Viele frühere Bewohner der Dörfer leben bereits in neuen Häusern. Unter ihnen gibt es mit Blick auf das frühere Eigentum keine einheitliche Meinung. Das Thema ist mit großer Emotionalität behaftet. Manche wollen zurück, andere im neuen Haus bleiben. Einige Ex-Bewohner sind entschieden dagegen, dass ihr früheres Haus neue Bewohner bekommt.
Die Umsiedlungen der Erkelenzer Dörfer laufen bereits seit 2016. Das förmliche Umsiedlungsende wird in der Leitentscheidung nun auf den Stichtag 30.6.2026 festgelegt. Grundstücke am neuen Standort müssen bis dahin für mögliche Umsiedlungswillige freigehalten werden. In der Leitentscheidung wird auch die Schwierigkeit herausgestellt, den alten und schon größtenteils verlassenen Dörfer wieder eine Zukunft zu geben. «Es ist eine große Herausforderung, die weitgehend unbewohnten Dörfer mit neuem Leben zu füllen und zukunftsfähig und lebenswert zu gestalten.» Für die Instandhaltung und Erneuerung der Infrastruktur werde die Landesregierung «ein entsprechendes Budget zur Verfügung stellen».
Rekultivierung der Tagebau-Flächen
Die neue Leitentscheidung enthält Grundsätze für die Raumentwicklung und die beschlossene Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler, aber auch Vorgaben für die künftige Entwicklung. So wird bekräftigt, dass die Befüllung des Tagebausees Garzweiler möglichst weiterhin innerhalb von 40 Jahren nach der Auskohlung erfolgt sein soll. Befüllt werden soll er mit Rheinwasser - dafür ist eine Transportleitung erforderlich.
Frühere Tagebau-Flächen sollen «hochwertig rekultiviert» werden. Dabei sollen Landwirtschaft, Wasserwirtschaft, Klimaanpassung und Naturschutz berücksichtigt werden. Auf den rekultivierten Flächen soll der Ausbau erneuerbarer Energien flächenschonend vorangetrieben werden. Es sollen mehr Flächen für Wind- und Solarenergie genutzt werden können. Für die Menschen sollen siedlungsnahe Freizeit- und Erholungsräume entstehen.
«Für die Landesregierung ist der Braunkohleausstieg bis 2030 eines der zentralen Ziele», heißt es in der neuen Leitentscheidung. «Wesentliche Voraussetzung für dessen Erreichung ist, dass die Versorgungssicherheit nicht beeinträchtigt wird.» Die Landesregierung geht davon aus, dass der Abbau von Braunkohle in NRW bis 2030 noch «einen substanziellen Beitrag zur Stromversorgung zu leisten haben wird». Insbesondere bis 2025 sei aufgrund der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine «von einer hohen Auslastung der Kraftwerksblöcke im Rheinischen Revier auszugehen.» Nach 2025 wird mit einer zurückgehenden Auslastung gerechnet.